Objekt des Monats 11/2025
Bereits seit 2009 ist der universitäre Bestand an Humboldt-Büsten durch moderne Adaptionen des österreichischen Bildhauers Gerald Matzner (1943-2018) ergänzt worden. Aus einer Reihe von 15 Büsten von Alexander und Wilhelm von Humboldt, die Matzner anhand der Vorlagen von Christian Daniel Rauch (1851) bzw. Bertel Thorvaldsen (1808) geschaffen hat, wurden Der abgewickelte Humboldt und Die Brüder Humboldt für den Kunstbesitz der Universität erworben. Gemäß dem Titel dieser aus der Reihe „Metamorphosen“ stammenden Büsten sind die Brüder deutlich von den Ursprungsporträts entfernt. Die dünnwandigen Tonskulpturen, alle mit eigenem Sockel, wurden nach dem Brennen bemalt, auf den Oberflächen sind Signaturen und Datierungen zu finden.
Acht weitere Büsten kamen durch Schenkung der Witwe des Künstlers in den Bestand der Kunstsammlung. Das Spektrum der Bearbeitung, das Verformen, in Bändern ver- bzw. abwickeln, um Attribute ergänzen bis fast zur Unkenntlichkeit des Vorbilds lassen sowohl das biographisch bzw. wissenschaftlich vielfältige Leben der Humboldts als auch die Phantasie und Ausdruckskraft des Künstlers erahnen, der in Wien und Berlin ausgebildet wurde und lange Zeit als freischaffender Künstler in Berlin gearbeitet hat. Nicht nur die Dargestellten sind aufs Engste mit der Universität verbunden, Matzner begann seine Skulpturenreihe 1990 – zu einer Zeit, als die Abwicklung der Humboldt-Universität im Raum stand. Es ist sozusagen ein künstlerisches Bekenntnis zu den beiden Gelehrten und ihren Idealen, aber auch eines für die Tradition der Humboldt-Universität und ihre Fortführung in die Gegenwart und Zukunft. Matzner selbst zog es mit der Studentenrevolte 1968 nach Berlin, seine Arbeiten fertigte er überwiegend aus Terracotta, wobei er in den 1980er Jahren mit Kunst im öffentlichen Raum zuerst größere Formate bearbeitete – darunter die Korinthische Säule für die Rostlaube der Freien Universität Berlin oder die Serie von Taschenpyramiden.
Bereits die Titel – wie Humboldt eine Reise buchend, Im Insektenschwarm, Nach Worten ringend, Die Vermessung des Alexander von Humboldt, Humboldt mit Reisetasche oder Abgewickelter Humboldt – verweisen auf den kreativen und zuweilen ironischen Umgang mit den großen Männern. Die Humboldts finden sich bevölkert mit Pflanzenwerk, Getieren wie Fröschen und Käfern, aber auch mit Taschen, Telefonhörern oder Gartenzwergen. Lustig, zuweilen auch düster, nicht in jedem Fall sofort ästhetisch ansprechend, sollen die Büsten zum Nachdenken anregen. Was bedeuten uns heute die wissenschaftliche Neugier und Umtriebigkeit der Humboldts? Welche ihrer Leistungen erkennen wir in den erzählerisch wirkenden Porträts und welche Wirkung haben sie (noch)? Darüber hinaus verweisen uns die Verfremdungen auf uns selbst, sind die (Ver)Formungen Matzners „der ‚Naturabguß‘ unserer Zivilisation, das Porträt […] unserer Welt, erschreckend und bitter belustigend“ (Sperlich 1991, S. 24).
Dass einige der Büsten im sogenannten Humboldt-Kabinett in Adlershof stehen und damit in einem technologischen Wissenschaftsbereich, der lange nach den Humboldts erst seinen Ausgang nahm, die heutige Welt dafür umso mehr prägt, dürfte sowohl den Dargestellten als auch dem Künstler gefallen haben.
Autorin: Christina Kuhli
Literatur:
Sperlich, Martin: Gerald Matzner oder der Stil „Rustique“ oder das Irdene und das Irdische des Naturabgusses, in: Die ganze Welt ist rötlich braun. Skulpturen von Gerald Matzner. Werkverzeichnis, Berlin 1991, S. 19-24.