Jochen Brüning, Gloria Meynen
Die Entstehung der deduktiven Mathematik verdankt sich im Wesentlichen einer kulturtechnischen Innovation, einer Kombination aus Buchstaben und Linien, dem beschrifteten Diagramm. Seit der Mitte des 5. Jahrhunderts ermöglicht es das beschriftete Diagramm, Zahlen, Buchstaben und Bilder ineinander zu überführen. Es ermöglicht eine Technik des Zeigens und Verweisens, die in den Elementen des Euklid vorläufig eine beispiellose Formalisierung erreicht. Das Projekt fragt deshalb am Beispiel der Euklidischen Elemente nach den medialen Bedingungen der deduktiven Mathematik. Der Schwerpunkt liegt auf der Verweistechnik der Euklidischen Diagramme und den implizierten Beziehungen zwischen Bild, Schrift und Zahl. Im Zentrum stehen die Techniken des Beweisens. Deshalb interessieren besonders zwei Aspekte:
- Ein erster Blick gilt den Schreib- und Bildflächen der Geometrie. Mit der Frage nach der Materialität mathematischer Beweise gilt er einem Aspekt, den die Euklidischen Elemente vollständig ausblenden.
- Da wir davon ausgehen, dass die Materialität der Bildflächen die Operationen des Diagramms maßgeblich bestimmt, fällt ein zweiter Blick von den Medien auf die Werkzeuge des Diagramms: nämlich auf Linien und Buchstaben.
Das Diagramm vereint Elemente der Arithmetik und Geometrie. Es ist das Produkt mannigfaltiger Übersetzungsprozesse zwischen der Astronomie der Ägypter, den geometrischen Reiss- und Aufschnürungsverfahren des ionischen Tempelbaus und der Musiktheorie der Pythagoreer. Die Aufmerksamkeit des Projektes liegt auf den Überträgen zwischen Geometrie und Arithmetik mit der Überzeugung, dass die neue Kulturtechnik des beschrifteten Diagramms an kulturellen und technologischen Bruchstellen entsteht.