Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik

Zentralinstitut der Humboldt-Universität zu Berlin

Von der Schrift zur Spur. Das Spurenlesen als Kulturtechnik im Spannungsfeld von Medientheorie, Genforschung und Computertechnik

Sybille Krämer, Gernot Grube, Werner Kogge

Über Jahrzehnte war die kulturtheoretische Diskussion geprägt von einer Identifizierung von Kultur mit Text bzw. Sprachlichkeit. Die Forschergruppe »Bild, Schrift, Zahl« entfaltete eine Alternative zu diesem textfundierten Kulturverständnis, indem sie historisch variable Techniken im Umgang mit nicht-sprachlichen Symbolsystemen (Bild, Schrift, Ziffern) als Kulturtechniken und zugleich wissenserzeugende und -transformierende Leistungen rekonstruiert. Ziel dieses neuen Projektes ist die begriffliche Klärung und theoretische Fundierung der Protoform einer Kulturtechnik: Es geht um die Spur und das Spurenlesen. Drei Akzentverschiebungen gegenüber dem vergangenen Förderungszeitraum sind mit dem Übergang vom ‚Schriftprojekt‘ (2001-2003) zum ‚Spurprojekt‘ (2004-2006) verbunden:

  1. Das Lesen geht – bei der Spur – dem Schreiben voraus und rückt somit ins Zentrum des Spurkonzeptes. Anders als bei der Schrift, akzentuiert die Idee der Spur die pragmatische Dimension des Lesens, da erst das Spurenlesen eine Markierung überhaupt zur Spur werden lässt.
  2. Zugleich überschreitet das Spurenlesen die Domäne der menschlichen Kultur – dies ebenfalls im Unterschied zur Schrift – und ist auch für biologische, insbes. für genetische Abläufe signifikant. Ist hier eine Brücke zwischen Kulturtechniken und biologischen Prozessen gefunden, eine Brücke, die nicht alleine vom Unterschied zwischen buchstäblicher und metaphorischer Bedeutung zehrt, sondern aufschlussreiche Analogien zwischen kulturellen und biologisch-zellulären Szenarien hervortreten lässt?
  3. Der Computer ist nicht bloß eine Schrift- und Zeichentransformationsmaschine, sondern – und das wird epistemologisch immer wichtiger – eine Visualisierungsmaschine. Zu dem, was er ’ins Bild setzt‘ gehören auch die Spuren dessen, was unserer Wahrnehmung prinzipiell entzogen ist (z.B. Nanotechnologie). Im Zuge dieses Spuren(vor)lesens durch den Computer, werden ’epistemische Dinge‘, also Wissensobjekte, nicht alleine veranschaulicht, vielmehr zugleich auch hervorgebracht.

Das Projekt zielt darauf ab, durch begriffliche Explikation von verschiedenartigen Prozessen des Spurenlesens die Kulturtechnik des Lesens auf eine Weise zu spezifizieren, die die Gleichsetzung von Lesen mit ’Textlesen‘ lockert und nicht-hermeneutische Dimensionen des Lesens (Etymologie: ’lesen‘ als ’sammeln‘, ’auflesen‘) Profil gewinnen lässt.

Archivwebseite des Projekts „Spurenlesen“

Internationale Tagung: Spurenlesen. Zur Genealogie von Kulturtechniken / Reading traces. On the genealogy of cultural techniques, 10. bis 12.02.2005