Objekt des Monats 02/2023
Wie ein Schweizer Handwerker das Modell des Aletschgletschers schuf und es an die Universität kam
Ein Relief der Schweizer Alpen, 14 Quadratmeter groß, gehörte einst zu den Hauptattraktionen der Kunstkammer im Berliner Schloss. Aus zehn Teilstücken zusammengefügt, bot es eine Übersicht über Gebirgszüge und Täler in bis dahin nie gesehener Genauigkeit. Ein Teilstück des Modells wurde vor einigen Jahren von einer Doktorandin am Geographischen Institut in einer Datenbank gefunden und erkannt. Es befindet sich mittlerweile im Humboldt Forum und kann dort besichtigt werden.
Am 10. Mai 2017 traf sich eine kleine Gruppe von Wissenschaftler:innen verschiedener Disziplinen in einem Raum im Dachgeschoss des Geografischen Instituts in Adlershof. Es ging ihnen darum zu überprüfen, ob die Kunsthistorikerin Eva Dolezel mit ihrer Vermutung bezüglich eines topografischen Modells richtiglag. Dolezel hatte ihre Dissertation über die historische Berliner Kunstkammer geschrieben und war dabei auf Teile eines herausragenden Objekts gestoßen, was vor über zweihundert Jahren die Berliner:innen ins damalige Schloss zog, wo die Kunstkammer untergebracht war: ein Relief der Schweizer Alpen. Nachweislich war auch Alexander von Humboldt sehr angetan von dem Modell, das aus zehn Teilen bestand und circa 14 Quadratmeter groß war.
Wie das Relief enstand und in die Kunstkammer kam
Geschaffen wurde das Werk von Joachim Eugen Müller (1752–1833), einem Handwerker aus dem Kanton Obwalden, dessen Kenntnisse der Schweizer Alpen herausragend waren und der eine unglaubliche räumliche Vorstellungskraft besaß, um ohne vorhandenes Kartenmaterial ein topografisch fast exaktes Abbild des Gebirges in Miniatur zu formen. Und er schuf nicht nur eins. Viele wollten damals so ein Kunstwerk. Zu den vielen, und wenigen die es sich auch finanziell leisten konnten, gehörte König Friedrich Wilhelm III. von Preußen. So kam ein Relief in zueinander passenden Einzelteilen im Laufe des ersten Viertels des 19. Jahrhunderts nach Berlin und wurde in der dortigen Kunstkammer aufgestellt und war öffentlich zugänglich.
Gefertigt war das Relief aus einer Gipsmischung, eingeschalt in einem Holzrahmen und es war entsprechend der natürlichen örtlichen Gegebenheiten oberflächlich bemalt mit Grün für Wald und Wiesen oder Weiß für Schnee und Eis. Ortschaften waren zu erkennen, Flüsse, Seen und Gletscher. Was der Sicht des Betrachtenden verborgen blieb, waren Metallstifte, die Müller an der Stelle auf der Holzplatte befestigte, an der er später die höheren Gipfel formte. Dieses Detail erlaubt uns heute, dass Modell auch als „echten Müller” zu identifizieren (Abb. 1).
Von der Datenbank über die Doktorarbeit ins Humboldt Forum
Mit Auflösung der Kunstkammer verlor sich die Spur des Reliefs. Im Jahr 2010 startete an der HU ein Projekt zur Erfassung materieller Modelle in Universitätssammlungen bundesweit. Dabei wurde auch ein Gebirgsrelief mit der Bezeichnung „Modell des oberen Rhonetals mit Aletschgletscher“ in die öffentlich zugängliche Datenbank aufgenommen. Dort entdeckte es Eva Dolezel und zählte Eins und Eins zusammen. Ihr Fazit: das im Geographischen Institut vorhandene Modell muss mit großer Wahrscheinlichkeit ein Teil des historischen Alpenreliefs der Berliner Kunstkammer sein. Und diese Vermutung bestätigte sich letztendlich.
Die darauffolgende Aufmerksamkeit führte zu einer zweiten Karriere des Reliefs. Es ist heute im Humboldt Labor ausgestellt, allerdings ist es gleichzeitig auch Teil der Ausstellung „Spuren. Geschichte des Ortes“ im Humboldt Forum. Es ist zu den bekannten Öffnungszeiten zu besichtigen.
Das Relief kann als gutes Beispiel für das grenzenlose Potential von vielen bisher nicht entdeckten Objekten in Universitätssammlungen dienen. Und auch die eingangs erwähnte Forschergruppe hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass vielleicht noch weitere Teilstücke des einstigen Schweizer Alpenreliefs entdeckt werden.
Text und Fotos: Oliver Zauzig