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Objekt des Monats: Städte des Nahen Ostens im Spiegel der Sammlung Historischer Palästinabilder

Objekt des Monats 11/2024 

Am 26. August 1907 schreibt der an der Friedrich-Wilhelms-Universität tätige Alttestamentler Hugo Gressmann (1877–1927) an seinen Gießener Kollegen und Freund Hermann Gunkel (1862–1932), er habe „den Plan, neue Lichtbilder machen zu lassen. Die Lichtbilder sollen dienen für den Unterricht in der höheren Schule und an der Univ.[ersität]. … Da Prof. Schäfer vom ägypt. Museum mir seine tatkräftige Hilfe zugesagt hat und da mir auch die Diapositive der D[eutschen]O[rient]G[esellschaft] zur Verfügung stehen, hoffe ich die Sammlung unseres Seminars beträchtlich zu vermehren. Das würde auch mir hübsche Drucke geben: Illustrationen für A[ltes]T[estament]., besonders profane, Kulturgeschichtliches, an denen es zur Zeit ganz fehlt.“

Die hier angesprochene Sammlung bildet den Grundstock der Sammlung Historischer Palästinabilder, die sich bis heute am Seminar für Altes Testament an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität befindet. Sie umfasst rund 2000 Glasplattendias, die im Wesentlichen Hugo Gressmann bis zu seinem plötzlichen Tod auf einer Vortragsreise durch die USA 1927 gesammelt hatte. Die Fotografien wurden zwischen dem ausgehenden 19. und dem frühen 20. Jahrhundert angefertigt. Sie zielen auf eine visuelle Erfassung der biblischen Lebenswelten. Dementsprechend bieten die Fotografien Bilder aus dem östlichen Mittelmeerraum und der südlichen Levante. Der Schwerpunkt liegt auf Ortslagen, die in der Bibel genannt werden. Diese befinden sich heute auf dem Gebiet Syriens, des Libanon, Jordaniens, Israels und Palästinas. Bildmotive sind Landschaften, antike und zeitgenössische Gebäude (Tempel, Kirchen, Moscheen), Menschen, Tiere und Pflanzen. Die überwiegende Zahl der Glasplattendias wurde von professionellen Verlagen produziert.

Gressmann hatte Israel/Palästina 1906/1907 im Rahmen eines landeskundlichen Lehrkurses, der vom 1900 gegründeten und bis heute mit Sitz in Jerusalem und Amman bestehenden Deutschen Evangelischen Institut für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes durchgeführt wurde, bereist und dabei selbst zahlreiche Fotografien angefertigt. Unter dem Eindruck der Erfahrungen auf dieser Reise bettete er die Erschließung der materialen Kultur fest in den Methodenkanon der alttestamentlichen Wissenschaft ein. Seine Altorientalischen Bilder zum Alten Testament (1909, zweite Auflage 1927) wurden ein Standardwerk. Als Vertreter der Religionsgeschichtlichen Schule und gemäß seinem Verständnis der Theologie als Kulturwissenschaft lag es ihm am Herzen, die biblischen Texte im Kontext altorientalischer und ägyptischer Texte und Bilder sowie vor dem Hintergrund der konkreten Lebensverhältnisse zu verstehen. Hierbei bemühte er sich auch intensiv darum, seine Erkenntnisse über die Grenzen der Universität hinaus an ein interessiertes Publikum in Wort und Bild zu vermitteln. Als ein Organ dienten ihm die zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Friedrich Michael Schiele herausgegebenen Religionsgeschichtlichen Volksbücher für die deutsche christliche Gegenwart, in denen er über die aktuellen Ausgrabungen in Palästina informierte (RV III/10, 1908).

Die Sammlung Historischer Palästinabilder beinhaltet inzwischen auch Glasplattendias aus dem Nachlass des Berliner Alttestamentlers Gottfried Quell (1896–1976). Durch die Leihgabe der Bibliothek des seit 1877 bestehenden Deutschen Vereins zur Erforschung Palästinas wird sie literarisch sehr gut erschlossen. Die Sammlung hat eine hohe Bedeutung für die historische Topografie, für die Geschichte der Archäologie, für die landschaftliche und städtebauliche Oberflächenstruktur des vorindustriellen Israel/Palästina, aber auch für die historische Ethnologie und Anthropologie sowie für das eurozentrische Orientbild im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert.

Zahlreiche Fotografien zeigen wichtige Städte des Nahen Ostens. Aus dieser Motivgruppe sind nun für das Objekt des Monats November 2024 fünf Ansichten von Städten oder einzelner Bauwerke auf dem Boden dieser Städte ausgewählt worden. Dabei handelt es sich um Stätten, die aufgrund der aktuellen politischen Lage im Brennpunkt der internationalen Wahrnehmung stehen und die aufgrund der kriegerischen Ereignisse sehr bedroht sind. So zeigt Foto Nr. 1 das Minarett der Großen Moschee von Gaza, die auf der aus dem 12. Jahrhundert stammenden Kirche Johannes des Täufers erbaut wurde. Foto Nr. 2 bietet in kolorierter Form eine Ansicht von Aleppo. Foto Nr. 3 gewährt einen Blick auf Beirut. Foto Nr. 4 zeigt den Sonnentempel von Baalbek. Foto Nr. 5 erlaubt eine Sicht auf Jerusalem, vom Ölberg über das Kidrontal hin zum Felsendom, mit einer zur Totenklage versammelten jüdischen Gemeinde. Die hier vergossenen Tränen mögen stellvertretend für all die Tränen stehen, die derzeit Menschen im Nahen Osten angesichts der Zerstörungen in ihrem unmittelbaren Umfeld erleben.

Eine umfassende Dokumentation der Sammlung Historischer Palästinabilder bieten Sascha Gebauer, Rüdiger Liwak und Peter Welten in dem Buch Pilger, Forscher, Abenteurer. Das Heilige Land in frühen Fotografien der Sammlung Greßmann, Leipzig 2014. Die eingangs zitierte Passage stammt aus einem Konvolut von Briefen Gressmanns an Gunkel, das im Rahmen eines aktuellen Forschungsprojekts von Sascha Gebauer und Markus Witte kritisch ediert werden soll. Über Gressmann und sein Werk informieren ausführlich Sascha Gebauer, Hugo Greßmann und sein Programm der Religionsgeschichte, Berlin/Boston 2020, sowie knapp Markus Witte, „Hugo Gressmann (1877–1927) – Ein Leben für die Geschichte der Religion“, in: Biblische Notizen 179 (2018) 108–120.

Webseite der Sammlung Historischer Palästinabilder: 
https://www.theologie.hu-berlin.de/de/professuren/stellen/at/palaestina

Abbildungsverzeichnis: 
Nr. 1 (Gaza): American Colony Magic Lantern Slides, Fr. Vester & Co, Jerusalem, Palestine.
Nr. 2 (Aleppo): Th. Benzinger, Lichtbildverlag, Stuttgart.
Nr. 3 (Beirut): American Colony Magic Lantern Slides, Fr. Vester & Co, Jerusalem, Palestine.
Nr. 4 (Baalbek): Kunst-Verlag Bruno Hentschel, Leipzig.
Nr. 5 (Jerusalem): Kunst-Verlag Bruno Hentschel, Leipzig.

Bildquelle: 
https://rs.cms.hu-berlin.de/palaestina/pages/search.php?search=%21collection2&k=4b9927904c

Kontakt:
Prof. Dr. Markus Witte
Seminar für Altes Testament
Theologische Fakultät
Humboldt-Universität zu Berlin
markus.witte@hu-berlin.de

Objekt des Monats: Fotosammlung im Archiv der HU

Objekt des Monats 09/2024

Ob bei der Eröffnung des akademischen Jahres, beim Empfang ausländischer Delegationen, bei Sportwettbewerben, bei Tagungen und Kongressen – bei allen Veranstaltungen der Universität war ein Hochschulfotograf oder eine Hochschulfotografin immer anwesend und dokumentierte das Geschehen, hielt es in zahlreichen Fotos fest, die einen detailreichen Einblick in die Geschichte der Humboldt-Universität liefern. Auch gezielte dokumentarische Aufträge übernahmen die Mitarbeiter der Hochschulfilm- und Bildstelle (HBF): Architektur- und Innenaufnahmen hielten die Entwicklung der Universitätsgebäude, Porträts der Professoren und Dozenten die personelle Zusammensetzung des Lehrkörpers fest.

All diese auf Schwarzweiß-Film festgehaltenen Momente von mehr als 40 Jahren Universitätsgeschichte befinden sich nun in der Fotosammlung des HU-Archivs – sowohl als Positive wie auch als Negative und Kontaktabzüge; es handelt sich ebenso um Bilder, die zur Veröffentlichung vorgesehen waren – in der HU-Zeitschrift oder in anderen universitären und außeruniversitären Publikationen – wie um Schnappschüsse, die niemals an die Öffentlichkeit gelangt sind.

Bereits seit 1952 bestand an der Universität ein zentraler Service auf dem Gebiet der Audiovisuellen Medien, der anfangs vor allem Foto- und Filmarbeiten für Lehre, Studium und Forschung bereitstellte und auch die Wartung und Reparatur von AV-Technik übernahm. Gegründet wurde diese Hochschulbildstelle an allen Universitäten der DDR durch einen Beschluss des zentral zuständigen Ministeriums für Fach- und Hochschulwesen (VO vom 22.02.1951). Zunächst dem Prorektorat für Forschung zugeordnet, wechselte die HBF nach 1970 in das Direktorat für Kultur- und Öffentlichkeitsarbeit, während das 1971 bzw. 1979 gegründete Zentrum für audiovisuelle Lern- und Lehrmittel (ZAL) weiterhin primär als Dienstleistungseinrichtung für die Forschung in den Fakultäten und Instituten der Universität allen Angehörigen, Studierenden und Lehrenden gleichermaßen zur Verfügung stand.

Im Archiv sind zwar einige wenige Lehrfilme des ZAL vorhanden, doch vor allem werden hier die Fotos aufbewahrt: Ein einzigartiges und beeindruckendes Zeugnis des akademischen Lebens in den Jahrzehnten von 1950 bis Ende der 1990er Jahre, das einen Umfang von annähernd 30 laufenden Metern erreicht hat und weitgehend unerschlossen ist, trotz seiner unzweifelhaft historischen Bedeutung für die Geschichte der HU. Denn trotz nachweisbar gelegentlich unternommener Versuche, die Masse der überlieferten Fotografien zu ordnen und in irgendeiner Form zu katalogisieren, wurden die nach der Auflösung der HBF gesammelten Fotodokumente dem Archiv ungeordnet übergeben, häufig leider auch nur mit sehr spärlichen Informationen versehen, welche Ereignisse und welche Personen auf den Fotos zu sehen sind, nur selten um einen Vermerk über den oder die Fotografin ergänzt und noch seltener datiert. Die Ordnung herzustellen und das vorhandene Material nachträglich mit fehlenden Informationen zu versehen ist eine immense und doch auch aufregende Herausforderung. Denn jeder Griff in die sortierten und unsortierten Fotokartons fördert ein Stück des Uni-Alltags zu Tage, der auf vielen Ebenen Geschichten erzählt: universitäts- aber auch sozialhistorisch, politisch, gesellschaftlich, wissenschaftlich und auch alltäglich.

Aufgelöst wurden das ZAL und die HBF mit ihrem universitätsinternen Fotolabor in den späten 1990er Jahren. Die Hochschulfotografen übernahmen andere Aufgaben. Die Möglichkeiten, das Leben und das Geschehen an der Universität zu dokumentieren, haben sich seitdem stark verändert: analoge Aufnahmen werden kaum noch gemacht und jedes Ereignis wird nicht nur professionell, sondern ebenfalls in einer Vielzahl von Schnappschüssen durch Beteiligte und Privatpersonen dokumentiert. Die Schwarzweiß-Fotografien bilden eine Zeit ab, die von anderen Medien, anderen Ressourcen und einem längst veränderten Universitätsalltag geprägt war.

Autorin und Kontakt:
Dr. Aleksandra Pawliczek
aleksandra.pawliczek@ub.hu-berlin.de
Archiv
Wagner-Régeny-Straße 5-7
12489 Berlin

Objekt des Monats: Das Weiterbildungsprogramm-Archiv Berlin/Brandenburg der Abteilung Erwachsenenbildung/Weiterbildung – Von der Entstehung und Entwicklung einer aktiven HU-Sammlung

Objekt des Monats 06/2024 

Welche Lern- und Bildungsmöglichkeiten gibt es im Erwachsenenalter? Welche Themen bieten unterschiedliche Anbieter als Kurse, Veranstaltungen, Seminare, Workshops an beispielsweise zu Nachhaltigkeit, zum gesellschaftlichen Zusammenhalt, zu Kultur oder zu Anforderungen der Arbeitswelt zwischen Berufsbezug und Schlüsselqualifikationen? Und für welche Zielgruppen bieten sie das an? Wie lassen sich dann Aussagen zu Themen und anvisierten Zielgruppen, die in Gegenwart und Vergangenheit in der Erwachsenenbildung – und damit in der Gesellschaft – relevant sind und waren, treffen?

Möglich ist dies durch die Analyse von Programmen (und darin Angebotsankündigungen), die zumeist entweder als Heft oder als Flyer von Weiterbildungsanbietern veröffentlicht werden. In ihnen finden sich Beschreibungen der geplanten Bildungsangebote, Angaben zu Teilnahmemodalitäten, sowie häufig Vorworte, die Rückschlüsse auf die bildungsprogrammatische Ausrichtung der Anbieter erlauben.

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Abb. 1: Cover verschiedener im Archiv gesammelter Anbieter

Programmarchive sammeln Weiterbildungsprogramme, die in der Regel weder von kommunalen Archiven, Bibliotheken noch den Anbietern selbst vollumfänglich gesammelt werden, und stellen sie als Forschungsprimärdaten bereit. Dadurch identifizieren sie Strukturentwicklungen und dokumentieren auch den Wandel der Weiterbildungslandschaft. Diese beiden Ziele wurden mit der Gründung des Weiterbildungsprogramm-Archivs Berlin/Brandenburg im Jahr 1995 verfolgt. Anliegen der Sammlungsgründerin und damaligen Lehrstuhlinhaberin Wiltrud Gieseke war es, die sich vollziehenden Entwicklungen nach der Wiedervereinigung einschließlich des Zusammenwachsens zweier unterschiedlicher Gesellschafts-, Arbeitsmarkt- und Weiterbildungssysteme abzubilden. Hierfür war es notwendig, aktiv die Programme von Weiterbildungsanbietern aus den Ländern Berlin und Brandenburg rückwirkend ab 1990 zu sammeln.

Heute umfasst das Weiterbildungsprogramm-Archiv einen Bestand von ca. 18.000 Programmen von mehr als 1.100 Weiterbildungseinrichtungen und anderen Anbietern von Weiterbildung. Das Archiv ist gemäß seines Gegenstandes fortlaufend aktiv sammelnd.

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Abb. 2: Blicke in den Archivraum (gleichzeitig Arbeitsplatz für Nutzende)

Der Bestand wird regelmäßig für Forschungs- und Abschlussarbeiten genutzt und Studierendengruppen besuchen das Archiv im Rahmen ihrer Seminare.

Neben unserem Archiv existieren mit dem Volkshochschul-Programmarchiv am Deutschen Institut für Erwachsenenbildung – Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen (DIE) und dem Österreichischen Volkshochschularchiv im deutschsprachigen Raum zwei weitere Programmarchive. Im Gegensatz zu diesen beiden Sammlungen berücksichtigt das Weiterbildungsprogramm-Archiv neben den Volkshochschulen eine große Bandbreite unterschiedlicher Anbietertypen. So werden hier u.a. auch die Programme von gewerkschaftlichen, konfessionellen und politischen Einrichtungen, von Kammern, von gemeinnützigen Vereinen sowie von betrieblichen und kommerziellen Anbietern archiviert. Diese inhaltliche Repräsentation verschiedener Einrichtungstypen macht das Weiterbildungsprogramm-Archiv einzigartig.

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Abb. 3: Vielfalt der im Archiv gesammelten Einrichtungstypen

Die pädagogisch Planenden, die für die Weiterbildungsangebote verantwortlich zeichnen, identifizieren gesellschaftlich relevante Themen, legen diese aus und transformieren sie in Bildungsangebote. Durch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den veröffentlichen Programmen im Rahmen von Programmanalysen lassen sich eben diese Auslegungen gesellschaftlicher Themen und die damit verbundenen Vorstellungen von Bildungsbedarfen und Bildung herausarbeiten. Ein Forschungsprojekt am Lehrstuhl (ÖkonoBi_EBWB_Pro, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung 05.23-01.24) zeigt dies für die ökonomische und finanzielle Bildung, die gegenwärtig als wichtiges politisches und gesellschaftliches Mittel zum Erreichen von Teilhabe einerseits, von Nachhaltigkeitszielen andererseits und zur Gestaltung von gesellschaftlichem Wandel gilt. Durch das Archiv war es möglich, in kurzer Frist eine Stichprobe von gut 800 Angeboten sehr unterschiedlicher Träger bzw. Anbieter zu bilden. Die davon analysierten 250 Angebote belegen Differenzierungen und Schwerpunkte eines sich entwickelnden Inhaltsbereichs – jedoch dank der großen Bandbereite der Stichprobe auch trägerspezifische Profile der Auslegung und Platzierung ökonomischer Bildung.

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Abb. 4: Sample und Themenkategorien aus dem Forschungsprojekt ÖkonoBi_EBWB_Pro

Das Archiv wird kontinuierlich weiterentwickelt: neben Leitbild und Sammlungskonzept, einer neuen Datenbank (die Einrichtungen und einzelne Programme verzweigt verknüpft und differenziert erschließt) und einem Pilotprojekt zur Speicherung von Websitedaten von Einrichtungen (Trend zur digitalisierten Veröffentlichung von Angeboten) ist dies aktuell die Arbeit an einer umfangreichen Bestandsbetrachtung. Dies ist verbunden mit dem Ziel, Veränderungen im dynamischen Weiterbildungsmarkt aus einer bildungswissenschaftlichen Perspektive abzubilden.

Das Archiv ist eingebunden in die ‚Expert:innengruppe Programmforschung‘, ein Netzwerk mit den anderen beiden oben genannten Archiven und in der Programmforschung aktiven Lehrstühlen sowie in die Strukturierungen, die über die Erwachsenenbildungsgesetze in Berlin (2021) und für Brandenburg (novelliert 2024) bestehen und sich weiter entwickeln.

Grundsätzlich steht das Weiterbildungsprogramm-Archiv allen Interessierten offen. Wer nun selbst einen Eindruck von der Sammlung gewinnen möchte, ist im Monat Juni dazu eingeladen, das Archiv am 05.06. oder am 12.06. jeweils zwischen 12.00 und 14.00 Uhr zu besuchen. Darüber hinaus wird sich das Weiterbildungsprogramm-Archiv als Teil der Abteilung Erwachsenenbildung/Weiterbildung auf der diesjährigen Langen Nacht der Wissenschaften (am 22.06.2024 im Auditorium des Grimm-Zentrums) präsentieren.

Prof. Dr. Aiga von Hippel | Sammlungsleiterin
PD Dr. Marion Fleige | Wissenschaftliche Betreuung
Annika Müllner M.A. | Archivarin / Dokumentarin

E-Mail: ewi.ebwb@hu-berlin.de oder annika.muellner.1@hu-berlin.de

Homepage: https://www.erziehungswissenschaften.hu-berlin.de/de/ebwb/weiterbildungsprogrammarchiv

Besucher:innenanschrift:
Institut für Erziehungswissenschaften
Geschwister-Scholl-Str. 7
10117 Berlin
Raum 313

Objekt des Monats: Eine Marmorbüste wird Miniatur – Ein 3D-Projekt zum 200. Geburtstag des Physikers Robert Gustav Kirchhoff

Objekt des Monats 04/2024

Im Magazin der Kustodie lagert eine Büste des Physikers Robert Gustav Kirchhoff (1824-1887), 1888 geschaffen von dem Berliner Bildhauer Carl Begas. Sie stand bis 1929 im Reigen weiterer Marmorbüsten geehrter Professoren der Universität in der alten Aula. Aus Anlass des 200. Geburtstags von Kirchhoff wurde die Büste aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt und einem 3D-Scan unterzogen. Dafür musste das Werk im Magazin neu aufgestellt werden und konnte mit dem richtigen Abstand, einer abgestimmten Beleuchtung und einem guten Auge kontaktfrei manuell gescannt werden. Diese diffizile Aufgabe übernahmen Prof. em. Dr. Manfred Paasch, ehemals Leiter des Gießereilabors der Berliner Hochschule für Technik, und sein ehemaliger Mitarbeiter Bernhard Bienia. Mit dem optischen 3D-Scanner EVA-Artec wurde durch langsame Schwenk- und rotierende Bewegungen die Oberfläche der Büste abgetastet. Um alle Flächen zu erreichen, kam zusätzlich ein Drehteller zum Einsatz.
Beim Scannen vor Ort war es wichtig, dass die Einzelscans überlappende Bereiche aufweisen, damit die einzelnen Patches durch viele Iterationsschritte zusammengefügt werden können. Für den 3D-Druck wurden die Daten im STL-Format bearbeitet, ein spezielles Format für Netzkoordinaten dreidimensionaler Datenmodelle, das die Oberfläche des Objektes durch eine Vielzahl kleiner Dreiecke abbildet.
Mit der Drucker-Software des 3D-Druckers mussten anschließend die Daten skaliert und technologische Angaben wie Schichtdicke, Extrudertemperatur, Hilfgeometrien (Support) u.a. festgelegt werden. Schicht für Schicht entstand nun aus dem plastifizierten Kunststoff das Modell mit einer Größe von 33% – in 27 Stunden Druckzeit. Zum Schluss mussten noch technologisch notwendige Stützen und Hilfsstrukturen entfernt werden.

Eine nette Spielerei oder wozu das Ganze?
Der 3D-Druck wurde zunächst im Rahmen der 200. Geburtstagsfeierlichkeiten von Robert Gustav Kirchhoff  angefertigt. Die Büste von Carl Begas könnte aber darüber hinaus noch weiter für das Andenken von Kirchhoff zum Einsatz kommen. Auf Anregung des ehemaligen Präsidenten der Berliner Hochschule für Technik, Prof. em. Gerhard Ackermann, könnte sie als Vorbild für eine heute nicht mehr existente Büste auf dem Grabdenkmal von Kirchhoff dienen.
Möglicherweise war sie nämlich das Vorbild für die 1889 von Bernhard Römer gegossene Bronzebüste, die nicht mehr in situ ist. Die über 130 Jahre alte Marmorbüste der HU könnte also womöglich noch ein wichtiges Ausgangsobjekt für eine Abformung und einen anschließenden Bronzeguss werden. Das Kirchhoff-Projekt vereint somit nicht nur alte Bildhauerkunst mit moderner Digitaldrucktechnik, sondern lässt womöglich noch ein neues Werk in traditionell handwerklicher Gusstechnik entstehen. The story goes on…

Text und Fotos: Christina Kuhli/ Manfred Paasch

Objekt des Monats: Von der Invalidenstraße 110 bis Adlershof. Eine Hausfassade und das morphologische Modell eines idealen Kristalls

Objekt des Monats 02/2024

Abb. 1 Kristall Gesamtansicht
Abb. 1 Kristall Gesamtansicht. Foto: Dr. Holm Kirmse

Das Modell (Abb. 1) zeigt die ideale Form eines Kristalls. Hier handelt es sich um die Kombination dreier Formen, die im kubischen Kristallsystem vorzufinden sind. Wegen der Größe der Flächen fällt zuerst der Würfel ins Auge. In der Kristallographie nennt man ihn Hexaeder, weil er von sechs gleichartigen Flächen begrenzt ist. Die zweite Form ist ein Tetraeder (von 4 Flächen begrenzt). Die dritte Form ist durch zwölf gleichartige Flächen begrenzt und wird Rhombendodekaeder genannt. Die einzelnen Flächen der drei Formen können mit Indices versehen werden. Millersche Indices entsprechen den reziproken Werten der Schnittpunkte einer Fläche mit den Achsen x, y und z: Diese drei Achsen stehen im kubischen Kristallsystem senkrecht aufeinander und sind gleich lang. Im Falle des Rhombendodekaeders schneidet eine Fläche immer zwei Achsen im gleichen Verhältnis, während die dritte Achse nicht geschnitten wird. Die Achsenabschnitte sind demnach 1 : 1 : ∞. Die dazu reziproken Werte sind 1 : 1 : 0. Bei entsprechender Wahl der Achsen erhält man für die zum Betrachter hinzeigende Fläche die Millerschen Indizes (110), gesprochen: „eins eins null“.

Miller_Indizes_Ebenen
Räumliche Lage von Flächen in einem Hexaeder und die jeweiligen Millerschen Indizes. Quelle: Wikipedia - Datei: Miller Indizes Ebenen.png - Erstellt: 27. März 2006 (Der ursprüngliche Uploader war Noamik bei der deutschsprachigen Wikipedia) CC BY-SA 3.0
Die mathematische Betrachtung der Symmetrieeigenschaften von Kristallen lässt sich nicht nur in Formeln fassen, so mancher sieht diese Formen auch in ganz anderen Zusammenhängen. Und damit zur Invalidenstraße 110: Bevor das Institut für Physik der Humboldt-Universität zu Berlin im Jahr 2003 zum jetzigen Standort auf dem Campus Adlershof umzog, befand es sich als Institut für Physik und Elektronik in dem Gebäude Invalidenstraße 110 an der Ecke zur Chausseestraße (siehe Foto unten rechts). Bestandteil des Instituts war auch das Institut für Kristallographie mit seinen Forschungsschwerpunkten Kristallwachstum und Kristallcharakterisierung. Der Studiengang Kristallographie wurde durch eine umfangreiche Lehrsammlung unterstützt. Heute ist die Kristallographie Teil der Spezialisierungsrichtung Festkörperphysik im Masterstudiengang Physik. Die Lehrsammlung Kristallographie existiert weiterhin.
Abb. 2 Kristall
Abb. 2 (links): Gleiches Polyedermodell gesehen aus einer anderen Perspektive. Für die hier vorliegende Betrachtung ist die (110)-Fläche optisch kenntlich gemacht. Das auch ins Auge fallende unregelmäßige Sechseck über der Fläche wird durch die Millerschen Indizes (111) identifiziert. (Siehe zur besseren räumlichen Veranschaulichung weiter oben die schematische Darstellung von Flächen mit den Indizes (100), (110) und (111)). Foto: Dr. Holm Kirmse
Abb. 3 Hausfassade Inv. 110
Abb. 3 (rechts): Fassade des Institutsgebäudes Invalidenstraße 110. Foto: Oliver Zauzig

Die Fassade des ehemaligen Institutsgebäudes mit ihren Flächen parallel zu Invaliden- und Chausseestraße ist zur Kreuzung hin abgeschrägt, so dass eine zusätzliche dritte Fläche entstanden ist, in der sich der Haupteingang befindet. Ob beabsichtigt oder nicht: legt man das Achsensystem entlang der Hauskanten, dann entsprechen die Millerschen Indizes dieser dritten Fläche exakt der Hausnummer des Gebäudes. Was sich jetzt liest wie eine der unzähligen Verschwörungserzählungen ist wohl reiner Zufall. Bekanntlich ist die Eins Eins Null auch die Rufnummer der Polizei, Physiker und Chemiker erkennen darin das Element Darmstadtium und als Binärsystem spielt es in der Informatik eine wichtige Rolle. Und sollten Sie doch einen Zusammenhang zwischen der Idealform eines Kristalls und der Hausfassade erkennen, so sei nicht nur darauf verwiesen, dass das Gebäude laut Informationen der Technischen Abteilung 1981 entstanden ist, sondern dass es vor 1920 an dieser Adresse das Gasthaus „Zum Kuhstall“ gab, so zumindest lässt es sich bei Foto Marburg recherchieren.

Die Technische Abteilung der HU hat im Dezember 2023 die Liegenschaft Invalidenstraße 110 an die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen für die anstehenden Umbau- und Sanierungsmaßnahme übergeben. Geplant ist diese in den kommenden fünf Jahren durchzuführen.

Autor: Dr. Holm Kirmse

Leiter der Kristallographischen Lehrsammlung
Newtonstraße 15
12489 Berlin

Links
Polyedermodell Kombination Würfel-Tetraeder-Rhombendodekaeder in „Sammlungen digital“: https://sammlungen-digital.hu-berlin.de/viewer/image/2949349a-7155-45e2-a88e-57126add8e1a/2/ 

Ecke Chausseestraße/Invalidenstraße in Technische Abteilung der HU: https://www.ta.hu-berlin.de/gebaeude/no:2215 und https://www.hu-berlin.de/de/pr/30-jahre-deutsche-einheit/bildergalerie-damals-und-heute/D2_hu20mh_30Jahre_DSF1544-1.jpg/view

Gasthaus „Zum Kuhstall“ in Bildarchiv Foto Marburg: https://www.bildindex.de/document/obj20555125

Objekt des Monats: „Souvenir aus Yokohama“ Ein Lackalbum in der wissenschaftlichen Sammlung „Bestände der Mori-Ōgai-Gedenkstätte“

Objekt des Monats 12/2023

Dank einer bedeutenden Schenkung historischer Fotografien aus dem Japan der Meiji-Zeit (1868 –1912) ging ein kostbares Lackalbum in den Besitz der Humboldt-Universität zu Berlin über.

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Dem Atelier Adolfo Farsari zugeschriebenes lackiertes Fotoalbum (40 x 31cm) aus den späten 1890er Jahren. Es enthält fünfzig handkolorierte Aufnahmen (ca. 20 x 27cm), die sich typischerweise in „views“ und „costumes“ einteilen lassen.

Es wird in der wissenschaftlichen Sammlung „Bestände der Mori-Ōgai-Gedenkstätte“ bewahrt und momentan in der Mediathek des Grimm-Zentrums digital erschlossen. Auf den großformatigen Seiten sind fünfzig kolorierte Albumin-Abzüge montiert, die von liebevoll in Aquarellfarben ausgeführten Illustrationen gerahmt sind.

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Eine der Landschaftsaufnahmen zeigt die einst kaiserlichen Boten vorbehaltene „Heilige Brücke“ (Shinkyō), welche zur Schreinanlage in Nikkō führt (Weltkulturerbe). Ein Symbol der Moderne, der Strommast am rechten Ufer des Daiya-Flusses, wurde durch die Kolorierung offenbar bewusst verborgen. Die Aufnahme wird oftmals Tamamura Kōzaburō zugeschrieben, der mit Adolfo Farsari zusammenarbeitete (späte 1890er Jahre).

Angaben zu den Urheber:innen der Fotografien, aber auch zu ihrem Alter fehlen. Wann und wie das Album nach Europa gelangte, ist nicht bekannt. Den einzigen Hinweis bildet eine zarte Eintragung mit Bleistift auf der ansonsten leeren dritten Seite. Sie lautet „Farsari“ und ordnet das Objekt somit der im ausgehenden 19. Jahrhundert weltweit nachgefragten „Yokohama-Fotografie“ zu.

In der Mitte des 19. Jahrhunderts hatte die Dynamik der globalen Geschichte auch Japan aus der „idyllischen Stille“ (Mori Ōgai) gerissen. Nach mehr als zweihundert Jahren der selbst gewählten Isolation öffnete sich das Inselreich der wissenschaftlich-technisch geprägten Zivilisation des „Westens“. Zwar gestaltete sich die touristische Entdeckung der fernen Destination zunächst mühsam, doch wurde das „Land der aufgehenden Sonne“ rasch zu einem neuen Sehnsuchtsort der reisenden Schichten Europas. Ästhetische Strömungen wie der aufblühende Japonismus und ein zunehmend zivilisationskritischer Zeitgeist wirkten zusammen, um das angesagte Reiseziel leidenschaftlich zu imaginieren.

Nach dem Frühstück steigen wir zu den Tempeln empor, über lange Stufenreihen in rauschenden Hainen, durch deren dunkles Laub das Meer hindurchleuchtet. Was Griechenland einmal war aber nicht mehr ist, was man [ … ] von seiner Schönheit träumt, das ist in dieser Landschaft zur Wahrheit geworden.
(Harry Graf Kessler, Tagebuch, 15. April 1892)

Bereits seit den 1860er Jahren unterhielten europäische und japanische Fotografen Ateliers in Yokohama – der Hafenstadt, die den meisten Reisenden zur An- und Abreise diente. Die Ateliers produzierten vorwiegend für Tourist:innen, die einzelne Abzüge oder kunstvoll gearbeitete Alben erwarben. Als Begründer der „Yokohama-Fotografie“ gilt Felice Beato (1832–1909). In den frühen Jahren seiner japanischen Schaffensperiode hielt der italienisch-britische Fotograf Eindrücke einer zauberhaft scheinenden Welt fest, die von der westlichen Zivilisation vermeintlich noch kaum berührt war. Sein Atelier popularisierte die Anfertigung von Abzügen auf Albuminpapier. Seine Schüler und Konkurrenten – unter ihnen Adolfo Farsari (1841–1898) und Tamamura Kōzaburō (1841–1932) – reagierten auf die rasch wachsende Nachfrage. Zunächst kamen Genrebilder, später auch Landschaftsansichten koloriert auf den Markt.

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Die Genrebilder im Album nehmen den traditionellen Alltag des Landes in den (europäischen) Blick. Hier eine Dame im Kimono, die einen reich verzierten Obi-Gürtel bindet. Die Aufmerksamkeit gilt ganz dem „in Seide gewobenen Gemälde“ (Curt Netto). Wahrscheinlich Tamamura Kōzaburō, späte 1890er Jahre.

Die Mitarbeiter:innen, welche diese Abzüge kunstvoll mit Farbe versahen, brachten Fertigkeiten aus der Herstellung von Holzschnitten mit. Dank des kostengünstigen Verfahrens, das detailreiche und ansprechende Ergebnisse lieferte, wurden bald jährlich zehntausende von Kopien produziert und nach Übersee verkauft.

Fotografie und Tourismus standen in einer fruchtbaren Wechselbeziehung. Den Reisenden im ausgehenden 19. Jahrhundert waren die Bilder wohlbekannt. Sie formten Sehnsüchte und Erwartungen; sie definierten Sehenswertes. Die Nachfrage aus Europa und Nordamerika, der eine lebhafte Rezeption japanischer Farbholzschnitte vorausgegangen war, übte ihrerseits großen Einfluss auf die Wahl von Motiven, Perspektiven und Farben aus. Indem Tourist:innen aus tausenden von Aufnahmen wählten, konnten sie ein Album ‚ihrer‘ Erfahrungen als Souvenir zusammenstellen.

Die eingangs erwähnte Schenkung ist einem privaten Sammler zu danken und erfolgte 2021 in Erinnerung an den Privatbankier Moritz Friedrich Bonte (11. Juli 1847 Magdeburg – 18. Juli 1938 Berlin). Die zwölf Alben und insgesamt mehr als 700 Fotografien bilden eine kostbare Quelle für die Arbeit der Mori-Ōgai-Gedenkstätte, die sich mit der Vielfalt der Begegnungen zwischen Japan und Europa während des Übergangs in die Moderne beschäftigt. Das „Souvenir aus Yokohama“ und eine Auswahl von Fotografien werden ab Anfang 2024 in einer Sonderausstellung in der Gedenkstätte zu sehen sein. Tokyo Views stimmt auf das Jubiläum der Städtepartnerschaft Tokyo-Berlin ein, das im kommenden Jahr ansteht und wendet sich der touristischen Wahrnehmung der japanischen Metropole an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zu. Sie erläutert zeitgenössische Konzepte der Sehenswürdigkeit und stellt eine Reihe „namhafter Orte“ (meisho) vor.

Autor: Harald Salomon
Wissenschaftlicher Leiter der Mori-Ōgai-Gedenkstätte

Die Angaben zu den Fotografien wurden von Studierenden des Instituts für Asien- und Afrikawissenschaften erarbeitet.

Mori-Ōgai-Gedenkstätte der Humboldt-Universität zu Berlin
Luisenstr. 39, 10117 Berlin
Tel. 030-2093-66933
E-Mail: mori-ogai@hu-berlin.de
Website: https://www.iaaw.hu-berlin.de/de/region/ostasien/seminar/mori
Öffnungszeiten: dienstags bis freitags 12-16 Uhr; donnerstags 12-18 Uhr

Objekt des Monats: Eine Privatbibliothek zieht um – die Arbeits- und Forschungsstelle Christa und Gerhard Wolf

Objekt des Monats 11/2023

Im Mai 2023 kamen 6000 Bücher aus der Wohnung Christa und Gerhard Wolfs an die Humboldt-Universität. Dank einer Schenkung 2015 ist damit eine einzigartige Autor:innenbibliothek öffentlich zugänglich. Zusammen mit den Teilbeständen, die seit 2016 von ehrenamtlichen Helfer:innen aus dem Souterrain der Pankower Wohnung und dem Woseriner Sommerhaus der Wolfs an die Arbeits- und Forschungsstelle Privatbibliothek Christa und Gerhard Wolf gebracht wurden, sind nun in drei Räumen des Instituts für deutsche Literatur die Bücherregale aus den Arbeitszimmern der Autorin und des Essayisten, der am 7. Februar starb, zu durchstöbern.

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Abb. 1 Verzeichnen, Detail. (Foto: Ralf Klingelhöfer)

Durch den „Gerhard Wolf-Raum“ zieht sein inspirierender Geist und seine ermutigende Großzügigkeit, nicht nur in Gestalt der Bücherregale voller Charme (an einem Schrank ist noch das Etikett „Volkseigentum“ lesbar), seines Schreibtischs und der Grafiken zu Christa Wolfs Medea. Stimmen. Auch der neue „Christa Wolf-Raum“ mit Schreibtisch, Büchern und Regalen ihres letzten Arbeitszimmers, ost- wie westdeutschen Ausgaben ihrer Werke, einer Sammlung an Vorleseexemplaren samt zeit- und literaturhistorisch aufschlussreichen Nutzungsspuren und dem Bestand an Lizenzausgaben in mehr als 50 Sprachen wurde schon unmittelbar nach dem Umzug zum vielgenutzten Seminar-, Forschungs- und Veranstaltungsort.

Eine konzeptionell wesentliche Idee war es, die letzte Aufstellungsordnung der Bücher so weit wie möglich zu erhalten. Immerhin verspricht schon der Standort einer Anna Seghers-Exil-Edition in unmittelbarer Nähe des Schreibtischs Christa Wolfs Einblicke in eine poetische Traditionsbeziehung. Warum die diversen Hölderlin-Ausgaben in Gerhard Wolfs Arbeitszimmer zu stehen kamen, lässt sich aus dessen literarischem Essay „Der arme Hölderlin“ im weithin beachteten Gemeinschaftsprojekt Christa und Gerhard Wolfs „Ins Ungebundene gehet eine Sehnsucht. Projektionsraum Romantik“ von 1985 erschließen. Eine über sechs Jahrzehnte gewachsene Paar-Bibliothek folgt eigenen Gesetzen.
Voraussetzung für die Sicherung der Aufstellungsordnung war einerseits die Fotodokumentation der Regale (zum Teil in 3D) und andererseits eine detaillierte Verzeichnung jedes Buchexemplars vor dem Umzug.

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Abb. 2 Verzeichnen am 20. März 2023 (Foto: Ralf Klingelhöfer)

Dank enthusiastischer Teamarbeit ist somit dokumentiert, wo ein Buch ursprünglich stand, selbst wenn die Differenz zwischen 3,50 Metern Raumhöhe am Pankower Amalienpark und 2,70 Metern in der Arbeitsstelle eine Eins-zu-Eins-Aufstellung unmöglich machte. Schon während der langen Verzeichnungstage in der Wohnung machten die beteiligten Studierenden und Wissenschaftler:innen jede Menge Entdeckungen: Das Sinn und Form-Heft 1/1949 enthält Notizen Gerhard Wolfs. Die junge Christa Ihlenfeld widmet 1950 Kurt Tucholskys Rheinsberg für Verliebte ihrem zukünftigen Ehemann! Liebesgedichte von Stepan Stschipatschow – wer ist das wohl? – tragen eine 1951er Widmung Gerhard Wolfs an sie. Welcher Lebensbogen scheint auf zwischen Christa Wolfs ausführlichem Widmungstext vom 28. Juli 1957 in Walt Whitmans Gedichtband Grashalme und der zum 80. Geburtstag ihres Mannes in einem Kochbuch von Wolfram Siebeck! Wie aufschlussreich, dass Gerhard Wolf seine frühesten Lyrikerwerbungen signiert und datiert hat. Welche Lust auf Recherche löst ein Rilke-Bändchen aus dem Insel-Verlag mit dem Eintrag „Gerhard Wolf, Bad Frankenhausen, 1947. Abitur“ aus.

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Abb. 3 Namenseintrag Gerhard Wolf 1947 in Rilke (Foto: Birgit Dahlke)
Widmungen Louis Fürnbergs (1954), Edgar Hilsenraths (1978 und 1990) oder Saids (2001) fielen einem während der Verzeichnungsarbeit im März 2023 wortwörtlich ‚in die Hände‘. Was steckt hinter der undatierten Doppelunterschrift von Heinrich Böll und Lew Kopelew? Wie geriet die Widmung Paul Eluards für Stephan Hermlin in die Bibliothek der Wolfs? Den literaturgeschichtlichen Kontext, der sich hinter einer Unikat-Ausgabe Hugo Hupperts von 1940 verbirgt, hatte Emma Ulrich schon 2018 in ihrer Bachelorarbeit rekonstruiert.
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Abb. 4 Unikat 1940 von Hugo Huppert (Foto: Birgit Dahlke)

Max Frischs Widmung von 1975 in seinem Tagebuch 1946-1949 legt eine Spur zur jahrzehntelangen Korrespondenz zwischen Wolf und Frisch.

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Abb. 5 Widmung Max Frisch 1975 (Foto: Birgit Dahlke)

Verweist es auf die Gründungsgeschichte des bibliophilen Kleinverlags Januspress, wenn Oskar Pastior 1990 das Wort „Janus“ in seiner an Gerhard Wolf gerichteten Widmung erwähnt, oder auf den Titel des gewidmeten Exemplars Kopfnuß Januskopf mit Palindromen? Die Widmungen in der Privatbibliothek werfen Fragen auf, die Recherchen in Literaturgeschichten und Archiven initiieren. Sie dokumentieren deutsch-deutsche und übernationale Beziehungsgeschichten, die erst noch zu erzählen sind.

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Abb. 6 Widmung Oskar Pastior 1990 (Foto: Birgit Dahlke)

PD Dr. Birgit Dahlke
Leiterin der Arbeits- und Forschungsstelle
Privatbibliothek Christa und Gerhard Wolf an der HU
Sprach- und Literaturwissenschaftliche Fakultät
Institut für deutsche Literatur
Dorotheenstr. 24/ Räume 3.509, 3.543 und 3.544
Website Arbeits- und Forschungsstelle Privatbibliothek Christa und Gerhard Wolf

Die Privatbibliothek ist öffentlich zugänglich dienstags von 12 bis 14 Uhr sowie nach Vereinbarung mit Alina Mohaupt (E-Mail: mohaupal@hu-berlin.de).

Objekt des Monats: Zweischaliges Hyperboloid der Firma Stoll (Nr. 224)

Objekt des Monats 10/2023

Nur wenigen Insidern würde sich das Objekt des Monats Oktober sofort erschließen. Das Modell eines zweischaligen Hyperboloids befindet sich in Adlershof, genauer gesagt im Institut für Mathematik und gehört zur dortigen Mathematischen Modellsammlung. Die Verbindung zur Universität reicht allerdings viel tiefer. Die Vorlage für das Modell entstand aus der Lehr- und Forschungstätigkeit des Instituts. Auch wenn das Modell nicht vollständig ist, so demonstriert es genau deshalb sehr schön den Grundgedanken einer Lehrsammlung, der in der Nutzung in der akademischen wie auch schulischen Lehre zu sehen ist. Deshalb bekommen die Objekte im Laufe ihrer Zeit Gebrauchsspuren oder gehen manchmal eben auch kaputt, auch wenn sie meist sehr robust für das Anfassen konstruiert sind. Aber der Reihe nach.
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Exemplar des zweischaligen Hyperboloids der Firma Stoll (Nr. 224) in der mathematischen Modellsammlung in Adlershof. Die obere Schale fehlt, was auf die häufige Nutzung des Objektes hinweist (Foto: Robert Pässler, TU Dresden).

Das zweischalige Hyperboloid, eine geometrische Form in der Mathematik, ist eine Fläche zweiter Ordnung. Um sich daraus einen Körper zu denken, rotiert man eine Hyperbel um ihre Hauptachse. Dabei entstehen zwei getrennte Flächenstücke (im Modell als Körper), wobei im Falle des Berliner Modells das obere Flächenstück (der obere Körper) fehlt. Die Skizze in Abbildung 2 aus Meyers Großes Konversations-Lexikon von 1905 zeigt ein zweischaliges Hyperboloid mit den Achsen, wobei die im Bild dargestellte senkrechte Achse die Hauptachse ist.

Hyperboloid - Abb.02
Meyers Großes Konversations-Lexikon von 1905 zeigt ein zweischaliges Hyperboloid mit gedachten Achsen.

Interessant ist der Ursprung dieses Modells. Hergestellt wurde es von der Firma Rudolf Stoll K.G. Berlin. Sie befand sich in der Oderbruchstraße 8-14, also im Berliner Stadtteil Friedrichshain. Die Firma übernahm nicht nur die Herstellung, sondern auch den Vertrieb der Lehrmodelle.

Entwickelt wurden die Lehrmittel am II. Mathematischen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin unter Leitung von Professor Dr. Kurt Schröder (1909–1978). Er hatte den Lehrstuhl für Angewandte Mathematik inne und war auch Direktor des Instituts. In der ersten Hälfte der 1960er Jahre war er zudem Rektor der Humboldt-Universität.

Die Modelle der Firma Stoll lassen sich in einer Entwicklungslinie mit den seit den 1880er Jahren hergestellten mathematischen Modellen von Brill, Schilling und Wiener betrachten. Sie erschienen in einer Zeit, als ihr Einsatz in der mathematischen Lehre bereits durch andere Medien erfolgte. Trotzdem wurden sie hergestellt und vertrieben, und darüber hinaus auch regelmäßig eingesetzt.

Hyperboloid - Abb.03
Das beschrieben Modell im Katalog "Lehrmodelle für Mathematik" der Rudolf Stoll K.G. Berlin No. 18 (Quelle: SLUB Dresden).

Spuren der Firma Stoll finden sich heute nur wenige. Bis auf die in einigen mathematischen Sammlungen anderer Universitäten (z.B. TU Dresden oder Universität Marburg) nachweisbaren Modelle, existiert noch der Katalog „Lehrmodelle für Mathematik“ der Rudolf Stoll K.G. Berlin No. 18, der dreisprachig in Deutsch, Englisch und Französisch erschien. Gegliedert sind die dort gezeigten Modelle in Lehrmittel für Elementarmathematik, für Geometrie und für Analysis. Unser Modell findet sich unter der Nummer „Modell 224/114“ mit dem Hinweis, dass „ein zweischaliges Hyperboloid“ gezeigt wird. Das Gewicht beträgt 2 Kilogramm. Die Maße sind 20 x 16 x 30 cm.

In diesem Zusammenhang ist noch erwähnenswert, dass solche Verkaufskataloge keine klassischen Sammelobjekte von Bibliotheken sind. Sie sind deshalb sehr rar und oft nur durch Zufall erhalten. Die Preisliste zum Katalog der Firma Stoll ist nicht digital zu finden. Ob sich irgendwo ein Exemplar erhalten hat, wissen wir nicht.

Dr. Oliver Zauzig

Links:

Mathematische Modelle am Institut für Mathematik: https://www.mathematik.hu-berlin.de/de/sammlung-mathematik und https://www.sammlungen.hu-berlin.de/sammlungen/mathematische-modelle/

Mathematik und ihre Didaktik (abgeschlossenes Projekt zur Sammlung): https://didaktik.mathematik.hu-berlin.de/de/projekte/abgeschlossen/mathematische-modelle/modellhersteller-fa-rudolf-stoll

Zweischaliges Hyperboloid (Stoll) der Mathematische Modellsammlung der HU im Digitalen Archiv mathematischer Modelle: https://mathematical-models.org/de/models/1064

Mathematische Modelle auf der Projektseite Materielle Modelle: http://www.universitaetssammlungen.de/modelle/suche/art/Mathematische+Modelle

Digitalisierter Katalog „Lehrmodelle für Mathematik“ in den Digitalen Sammlungen der SLUB Dresden: https://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/90059/1

Hyperboloīd in Meyers Großes Konversations-Lexikon: http://www.zeno.org/Meyers-1905/A/Hyperboloīd

Objekt des Monats: Ein starkes Stück: Annemirl Bauer, Männliche Herrlichkeit Gottes, 1988

Objekt des Monats 09/2023

Anklagend, schockierend, melancholisch – das großformatige Bild von Annemirl Bauer ist ausdrucksstark. Von den Augen einer mittig platzierten Frauenfigur, in Häftlingskleidung auf einer Kiste kauernd, gehen Strahlen zu beiden Seiten des Bildes aus. Links steht eine Reihe nackter Frauen mit hochhackigen Schuhen in Reih und Glied, die Vorderste streckt die bewaffnete Hand aus. Hinter ihr sind weitere Figuren, z. T. mit übergroßem Phallus. Die Pistole weist auf die rechte Bildseite mit einer aus Krücken gekreuzigten Frauenfigur, aus deren Schoß Blut strömt. Eine männliche Armee, in Köpfen angedeutet am unteren rechten Bildrand ist mit der Anrufung der Dreifaltigkeit beschrieben. Die düsteren, gewaltsamen und sexualisierten Bildszenen werden nur ganz am rechten Bildrand konterkariert durch eine im goldenen Lichtschein stehenden Mutter mit Kind, allen Anfeindungen zum Trotz aufrecht und ruhig dastehend.

Der Titel „Männliche Herrlichkeit Gottes“, im Bild präsent durch Schriftzeichen am Himmel bzw. auf einer Rakete, verweist ebenso auf die (von Männern verübten) Schrecken des Krieges und der Gewalt wie auf die Rollen der Frau – als Opfer, als Täterin, als Mutter

A.Bauer Männliche Herrlichkeit Gottes
Annemirl Bauer, Männliche Herrlichkeit Gottes, Öl/ Teppich, 208 x 246 cm, 1988

Seit 2018 hängt das Bild als eines der wenigen in der Öffentlichkeit noch präsenten Werke von Annemirl Bauer in der Humboldt-Universität. Die streitbare Malerin, selbst von der Stasi überwacht, aus dem Künstlerverband der DDR ausgeschlossen und mit nachfolgendem Arbeitsverbot belegt, setzte sich immer wieder mit feministischen Themen auseinander. Die „Männliche Herrlichkeit Gottes“ lässt sich darüber hinaus ganz konkret mit dem Wehrpflichtgesetz für Frauen in der DDR, den „Frauen für den Frieden“, aber auch mit der in der Bundesrepublik inhaftierten Feministin Ingrid Strobl in Verbindung bringen.

1982 wurde ein neues Wehrdienstgesetz erlassen, das auch Frauen im Mobilmachungsfall zur Landesverteidigung herangezogen hätte. Dagegen haben 150 Frauen in einem gemeinsamen Plädoyer an Erich Honecker protestiert: „Wir Frauen wollen den Kreis der Gewalt durchbrechen und allen Formen der Gewalt als Mittel zur Konfliktlösung unsere Teilnahme entziehen. […] Wir Frauen verstehen die Bereitschaft zum Wehrdienst als eine Drohgebärde, die dem Streben nach moralischer und militärischer Abrüstung entgegensteht und die Stimme der menschlichen Vernunft im militärischen Gehorsam untergehen läßt.“ (Eingabe zum Wehrdienstgesetz an den Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker, 12. Oktober 1982)
Dieser pazifistischen Kritik folgte eine Welle von Vernehmungen durch die Staatssicherheit, Einschüchterungen und Verhaftungen – bspw. auch der politisch aktiven Malerin und Hauptunterzeichnerin Bärbel Bohley, die ebenso wie Annemirl Bauer im Verband Bildender Künstler der DDR organisiert war, aus dessen Bezirksvorstand sie 1983 ausgeschlossen wurde.

Ingrid Strobl wiederum, eine österreichische Journalistin, die von 1979 bis 1986 Redakteurin der Zeitschrift Emma in Köln war, wurde 1987 als Terrorismusverdächtige in Untersuchungs- bzw. Isolationshaft genommen. Sie war dabei gefilmt worden, wie sie einen Wecker kaufte, der vom BKA präpariert worden war und 1986 beim Anschlag auf das Verwaltungsgebäude der Lufthansa in den Überresten einer Bombe identifiziert werden konnte. Der Anschlag gegen die Lufthansa, verübt von der Organisation „Revolutionäre Zellen“, hatte ebenfalls einen feministischen Hintergrund und zielte auf den Sextourismus („staatlichen Rassismus, Sexismus und das Patriachat“, wie die Revolutionären Zellen selbst angaben, vgl. Ingrid Strobl: Vermessene Zeit. Der Wecker, der Knast und ich, Hamburg 2020). Strobl erhielt nach ihrer Verhaftung öffentliche Solidarität.

Auch ohne die Kenntnis dieser historischen Hintergründe wirkt das Werk von Annemirl Bauer durch seine offensive Bildsprache, die auch mit religiösen Motivzitaten spielt.
Trotz aller Kritik – insbesondere auch gegen die Ablehnung von Annemirl Bauer immer wieder geforderten Reisemöglichkeiten „mit Wiederkehr“ – war die Künstlerin keine Dissidentin und wollte die DDR nicht verlassen. Die gesellschaftlichen und politischen Strukturen verändern, das war zeitlebens ihr Kampf, den sie kurz vor dem Mauerfall im Sommer 1989 durch ihren frühen Tod verlor.
Seit 2010 erinnert ein nach ihr benannter Platz in Friedrichshain am Bahnhof Ostkreuz an die streitbare Künstlerin.

Autorin: Dr. Christina Kuhli

Objekt des Monats: Diagramm des Niederschlagsverlaufs in Berlin-Dahlem im Jahr 2022

Objekt des Monats 08/2023

Für das Objekt des Monats August haben wir uns für das Diagramm des Niederschlagsverlaufs in Berlin-Dahlem für das Jahr 2022 (Abb. 4) entschieden, was stellvertretend für die tägliche Wetterbeobachtung steht und darüber hinaus die Vielfalt der Forschung an der HU widerspiegelt sowie den Anschluss an aktuelle gesellschaftliche Debatten wie dem Klimawandel und Fragen der zukünftigen Ernährungssicherheit erlaubt. Es geht also um das einzige Thema, wo sich sicher jede und jeder stets eine Meinung bilden möchte: das Wetter.

Die Begriffe Wetter und Klima sollten auseinandergehalten werden. Wetter beschreibt den messbaren augenblicklichen Zustand der Atmosphäre, wogegen sich Klima eher als typischen wiederkehrenden jährlichen Ablauf des Wetters definiert, meist basierend auf 30jährigen Mittelwerten.

Mit Wetter wird meist Sonnenschein, Wind, Regen oder Temperatur in Verbindung gebracht. Das sind Größen, die messbar bzw. zählbar sind und insbesondere für die Landwirtschaft und damit für die Ernährung eine zentrale Rolle spielen. Und um das Messen bzw. Zählen auch professionell zu betreiben, gibt es feste Wetterstationen, die sich auch an der Humboldt-Universität befinden.

Die agrarklimatologische Wetterstation am landwirtschaftlichen Versuchsstandort in Berlin-Dahlem wurde 1931 eingerichtet. Die seitdem gemessenen Wetterdaten dienen zum einen für die Auswertung der landwirtschaftlichen Dauerversuche am Standort (Untersuchung von Zusammenhängen zwischen Witterungsverlauf und Wachstum, Entwicklung sowie Ertragsbildung landwirtschaftlicher Nutzpflanzen) und zum anderen für die Auswertung der unterschiedlichsten Feldversuche, die kurzfristiger angelegt sind. Die Daten stehen allen Studierenden sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die Auswertung ihrer Freilandversuche zur Verfügung.

Darüber hinaus geben die langjährigen Wetteraufzeichnungen einen Einblick in die klimatischen Veränderungen Berlins.

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Abbildung 1: Wetterstation auf dem Gelände der Dauerfeldversuche des Departments für Nutzpflanzen- und Tierwissenschaften des Thaer-Instituts für Agrar- und Gartenbauwissenschaften in Dahlem. (Foto: O. Zauzig 2023)
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Abbildung 2: Verlauf des Jahresmittels der Lufttemperatur (Ta) seit Beginn der Wetteraufzeichnung in Dahlem.
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Abbildung 3: Jahresniederschlagshöhe (Pa) im gleichen Zeitraum.
Die zwei Grafiken zeigen den Verlauf des Jahresmittels der Lufttemperatur (Ta) und der Jahresniederschlagshöhe (Pa) von 1931 bis 2022. Die Lufttemperatur hat in Berlin-Dahlem zwischen 1931 und 2022 signifikant um 1.8 °C zugenommen (1.78 K in 92 Jahren). Die Jahresniederschlagshöhe zeigt keinen signifikanten Trend, wobei im Jahr 2022 die bisher geringste jährliche Niederschlagshöhe von nur 338 mm (entspricht 338 Liter pro Quadratmeter) über das ganze Jahr verteilt gemessen wurde.
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Abbildung 4: Verlauf der Niederschlagshöhe 2022, gemessen am Standort Dahlem.

Die Abbildung 4 zeigt, dass lediglich in 3 Monaten des Jahres (Februar, April, Dezember) die Niederschlagshöhe über dem langjährigen Mittel lag. Dies führte zu einem Jahresniederschlagsdefizit von 40 Prozent und somit zur geringsten Jahressumme von 337,8 Liter pro Quadratmeter seit Beobachtungsbeginn, im Jahr 1931. Mit nur 0,6 l/m² Niederschlag stellte der März 2022 ebenfalls einen Rekord auf, der durch die höchste bisher gemessene Sonnenscheindauer von 245,3 Stunden bedingt war.

Damit wurden im Jahr 2022 gleich vier Rekorde aufgestellt: höchste Sonnenscheindauer und geringste Niederschlagshöhe im März, geringste Jahresniederschlagshöhe seit 1931, höchste Zahl an „Wüstentagen“.

Das Wetter zu beobachten, bleibt weiterhin unsere Aufgabe.

Autoren: Prof. Dr. Frank-M. Chmielewski und Dr. Oliver Zauzig