Objekt des Monats 10/2025
Ehemals sechs Lünetten zierten einst den Lesesaal der alten Universitätsbibliothek in der Dorotheenstr. 28 (ehemals Hausnr. 9) und repräsentierten damit die Fakultäten und Fachgebiete der Universität.
Lünetten, die kreissegmentförmig gerahmte Wandfelder ausfüllen und üblicherweise über Türen oder Fenstern angebracht werden, sind aufgrund ihrer Form eng mit der Architektur verbunden. 1871-73 wurde ein Neubau für die Universitätsbibliothek errichtet (nach mehreren anderen Unterbringungen seit dem Auszug aus der Königlichen Bibliothek 1839) und auch eine künstlerische Ausstattung vorgenommen, wie es für öffentliche Bauten um diese Zeit üblich war. Diese organische Einheit ging ab 1910 mit dem Umzug der Bibliothek verloren, ebenso die Lünette der Naturwissenschaften. Die Gemälde gelangten zunächst in den alten Lesesaal der Musikwissenschaft und wurden dort erst 1997 bei Restaurierungsarbeiten wiederentdeckt. In der Folge wurden sie in den jeweiligen Fakultäten sowie im Grimm-Zentrum untergebracht.
Während zu Entstehung und Auftrag bisher keine Informationen ermittelt werden konnten, lässt sich anhand der überlieferten und zwischen 1874 und 1878 datierten Entwürfe das Ringen um die adäquate Repräsentation der Wissenschaftsdisziplinen gut nachvollziehen. Aus den jeweils ersten Entwürfen wird ersichtlich, dass zuerst rein allegorische Darstellungen erprobt wurden. Diese Allegorien wurden zwar im Schaffensprozess beibehalten, jedoch um Porträtmedaillons berühmter Gelehrter der Universität ergänzt. Damit wurde eine seit dem Spätmittelalter verbreitete Bildsprache gewählt bzw. adaptiert, die Personifikation der Fakultäten in Verbindung mit einem Gelehrten. Dass die Entscheidung, welcher Wissenschaftler die jeweilige Disziplin am besten repräsentiert, nicht immer konfliktfrei gewesen sein dürfte, ist in zwei Fällen ganz konkret ersichtlich. Auch die Reihenfolge der Lünetten scheint sich geändert zu haben, weicht die Zählung der Entwürfe von 1874 und 1877 doch voneinander ab.
In der Lünette der Philosophie sind neben Plato und Aristoteles als Jünglinge lesend und lernend die Medaillons von Georg Wilhelm Friedrich Hegel sowie des Gründungsrektors der Universität, Johann Gottlieb Fichte, angeordnet.
In der Lünette der Philologie, in der die Repräsentation der Sprachfamilien abgebildet ist, wurden August Boeckh und die Grimm-Brüder als Fachvertreter gewählt.
Die Lünette der Medizin wurde im Entstehungsprozess stark reduziert: Äskulap mit einem Schlangenstab besetzt die Bildmitte, gerahmt von den Medaillonporträts von Johannes Müller (des „Vaters der medizinischen Wissenschaften“) und zunächst Eilhard Mitscherlich. Der Chemiker und Mineraloge war dann aber wohl doch nicht erwünscht, denn auf dem Entwurf ist bereits vermerkt: „Mitscherlich fällt weg, dafür Schönlein“. Entsprechend wurde die Lünette dann auch mit einem Porträt des wissenschaftlich vielseitig interessierten Mediziners Johann Lukas Schönlein ausgeführt.
Bei der Lünette der Jurisprudenz wurde das zunächst allein vorgesehene Medaillon mit dem Porträt Friedrich Carl von Savignys in der Bildmitte durch Carl Gustav Homeyer ergänzt („statt Savigny allein, auch Homeyer“) und die Allegorie der Justitia mittig platziert.
Besonders interessant ist die Entwicklung der Lünette der Theologie.
Die ersten beiden Entwürfe sahen 1874 noch eine getrennte konfessionelle Repräsentation vor. Der Katholizismus wird mit einem Handschriften kopierenden Zisterziensermönch ins Bild gesetzt als „Bewahrer früherer Culturen“, ergänzt um kirchliche Symbole und die Personifikationen von „Symbolik“ und „Dogmatik“.
Die protestantische Konfession zeigt in ähnlicher Bildanlage den Bibel übersetzenden Luther in der Bildmitte, ihm beigeordnet sind Kreuz, Bibel, Abendmahlkelch und die Dreieinigkeit sowie die Personifikationen der „Auslegung“ und „Dogmatik“.
Erst im dritten Entwurf wird mit der mittig platzierten Allegorie, die aufgeschlagene Bibel in der Hand haltend, die Dominanz der evangelischen Konfession vorgenommen und in die ausgeführte Lünette überführt. Als Vertreter der evangelischen Theologie wird sie flankiert von den Bildnismedaillons von Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, der auch als Bildungsreformer und Philosoph wirkte, und seinem Kollegen, dem Professor für Kirchengeschichte August Neander. Die Reduktion auf eine Konfession für die theologische Fakultät erscheint für deren Repräsentation durchaus sinnvoll, denn erst seit 2019 kann man an der Humboldt-Universität auch Katholische Theologie studieren.
Durch den Wegfall der katholischen Theologie war ein Bildfeld schließlich wieder freigeworden. Hier sollten die Naturwissenschaften repräsentiert werden. Der im Gegensatz zur averlorenen Lünette überlieferte Entwurf von 1877 enthält zwei Medaillons mit Porträts von Alexander von Humboldt und dem Mediziner und Naturforscher Christian Gottfried Ehrenberg, der Humboldt 1829 auf seiner Reise durch den Ural begleitet hatte. Ehrenberg selbst forschte als Zoologe, Ökologe und Geologe, lehrte als Professor für Geschichte der Medizin und Physiologie in Berlin und hatte 1855/56 das Amt des Rektors der Friedrich-Wilhelms-Universität inne. Die Bildmitte füllt die vielbrüstige Fruchtbarkeitsgöttin Artemis Ephesia aus. Erstaunlicherweise dürfte bei der fertigen Lünette nicht Humboldt, sondern der Chemiker und Mineraloge Eilhard Mitscherlich (1794-1863) zu sehen gewesen sein, so zumindest lässt es die Beischrift auf dem Entwurf vermuten. Wie groß die Wertschätzung für den Berliner Hochschullehrer und zeitweisen Rektor der Friedrich-Wilhelms-Universität war, zeigt auch das 1894 für ihn errichtete Denkmal vor dem Ostflügel der Universität.

Die Lünetten der ehemaligen Universitätsbibliothek sind klassische Repräsentationen der Fakultäten. Aus den ursprünglich vier Fakultäten (Theologie, Jurisprudenz, Medizin und Philosophie), wie es sie bereits im Mittelalter gab, hatten sich weitere Fachgebiete etabliert, die ebenfalls in Bildprogrammen aufgenommen wurden. Die geplante reiche Ikonographie mit Allegorien, Personifikationen, berühmten Vertretern der jeweiligen Wissenschaften, Lehrer-Schüler-Beziehungen und zahlreichen Attributen der Fächer wurde in der Ausführung zugunsten einer klaren schematischen Bildsprache reduziert, die auch von Ferne gut zu erkennen war. Durch die überzeitlichen Personifikationen und die zeitgenössischen Vertreter der Fächer in einem durchgängigen Schema wird eine ästhetische Kontinuität gestiftet, durch die verschiedenen medialen Ebenen (Figuren, fingierter Stein, Rankenwerk) wird zudem auch die Kunst selbst präsent. Im Gegensatz zum Historienbild sind die Lünetten nicht narrativ, sie erzählen aber auch keine Geschichte von Aufstieg und Verfall, sind also nicht wertend im Rang einzelner Fächer oder ihrer Vertreter. Ebenso ist eine übliche Hierarchie in der Anbringung zurückgenommen – es gibt keine Leserichtung, sondern die räumliche Zuordnung zum Literaturbestand des jeweiligen Fachgebiets.
Autorin: Christina Kuhli
Literatur:
Angelika Keune: Gelehrtenbildnisse der Humboldt-Universität zu Berlin. Denkmäler, Büsten, Reliefs, Gedenktafeln, Gemälde, Zeichnungen, Graphiken, Medaillen, Berlin 2000, S. 156f.;
Theater der Natur und Kunst. Theatrum naturae et artis. Ausstellungskatalog, hg. von Horst Bredekamp, Jochen Brüning und Cornelia Weber, Berlin 2000, S. 60, Kat. 2/34 (Anita Stegmeier);
Monika Wagner: Allegorie und Geschichte. Ausstattungsprogramme öffentlicher Gebäude des 19. Jahrhunderts in Deutschland von der Cornelius-Schule zur Malerei der Wilhelminischen Ära, zugl. Habil-Schrift Universität Tübingen (= Tübinger Studien zur Archäologie und Kunstgeschichte, Bd. 9), Tübingen 1989;
Karl Friese: Geschichte der Königlichen Universitäts-Bibliothek zu Berlin, Berlin 1910;
Karl-August Wirth/ Ute Götz: Fakultäten, die vier, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte VI, Sp. 1183-1219.