Archiv der Kategorie: Aktuelles

Aufruf zur Bewerbung: L’Académie des Traces – Die Akademie der Spuren

Die Akademie der Spuren. Die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft kolonialer Hinterlassenschaften verstehen, hinterfragen und verändern ist eine Fortbildung für junge Wissenschaftler*innen, junge Museumsmitarbeiter*innen und unabhängige Kurator*innen. Die Akademie beschäftigt sich mit den großen gesellschaftlichen Herausforderung, die koloniale Sammlungen in westlichen Museen hervorrufen – Sammlungen, die untrennbar mit einer Vielzahl von stets sensiblen und oft schmerzhaften Erinnerungen verbunden sind.

Die Akademie der Spuren 2024 besteht aus zwei Formaten, die zwischen Januar und März 2024 stattfinden werden:
1) Ein Online-Seminar mit 6 Sitzungen // Januar bis März 2024
2) Die Frühjahrsakademie // 18. bis 24. März 2024, die in Berlin zwölf Teilnehmer*innen aus Frankreich, Deutschland, anderen europäischen und afrikanischen Ländern sowie das Organisationsteam und Expert*innen aus dem Feld zusammenbringt.

Die Akademie der Spuren ist offen für Masterstudierende, Doktoranden und Postdoktoranden sowie Museumsfachleute und unabhängigen Kurator*innen, die in einem afrikanischen oder europäischen Land wohnhaft sind.
Die Arbeitssprache der Akademie wird Französisch sein.
Die Bewerbungsfrist endet am 27. November 2023.
Weitere Informationen, auch zur Bewerbung, finden Sie auf der Website der Akademie: https://academiedestraces.com/

Die Akademie der Spuren entstand aus einem Dialog zwischen Museumsfachleuten und Forscher*innen, die in den Bereichen Museen, Kulturerbe und Bildung im Bereich des Kulturerbes tätig sind und zwischen Europa und Afrika arbeiten. Sie ist eine Initiative der Humboldt-Universität zu Berlin, des Centre Marc Bloch Berlin und der École du Patrimoine Africain in Porto Novo.

Foto: (c) Anna Lisa Ramella

Objekt des Monats: Eine Privatbibliothek zieht um – die Arbeits- und Forschungsstelle Christa und Gerhard Wolf

Objekt des Monats 11/2023

Im Mai 2023 kamen 6000 Bücher aus der Wohnung Christa und Gerhard Wolfs an die Humboldt-Universität. Dank einer Schenkung 2015 ist damit eine einzigartige Autor:innenbibliothek öffentlich zugänglich. Zusammen mit den Teilbeständen, die seit 2016 von ehrenamtlichen Helfer:innen aus dem Souterrain der Pankower Wohnung und dem Woseriner Sommerhaus der Wolfs an die Arbeits- und Forschungsstelle Privatbibliothek Christa und Gerhard Wolf gebracht wurden, sind nun in drei Räumen des Instituts für deutsche Literatur die Bücherregale aus den Arbeitszimmern der Autorin und des Essayisten, der am 7. Februar starb, zu durchstöbern.

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Abb. 1 Verzeichnen, Detail. (Foto: Ralf Klingelhöfer)

Durch den „Gerhard Wolf-Raum“ zieht sein inspirierender Geist und seine ermutigende Großzügigkeit, nicht nur in Gestalt der Bücherregale voller Charme (an einem Schrank ist noch das Etikett „Volkseigentum“ lesbar), seines Schreibtischs und der Grafiken zu Christa Wolfs Medea. Stimmen. Auch der neue „Christa Wolf-Raum“ mit Schreibtisch, Büchern und Regalen ihres letzten Arbeitszimmers, ost- wie westdeutschen Ausgaben ihrer Werke, einer Sammlung an Vorleseexemplaren samt zeit- und literaturhistorisch aufschlussreichen Nutzungsspuren und dem Bestand an Lizenzausgaben in mehr als 50 Sprachen wurde schon unmittelbar nach dem Umzug zum vielgenutzten Seminar-, Forschungs- und Veranstaltungsort.

Eine konzeptionell wesentliche Idee war es, die letzte Aufstellungsordnung der Bücher so weit wie möglich zu erhalten. Immerhin verspricht schon der Standort einer Anna Seghers-Exil-Edition in unmittelbarer Nähe des Schreibtischs Christa Wolfs Einblicke in eine poetische Traditionsbeziehung. Warum die diversen Hölderlin-Ausgaben in Gerhard Wolfs Arbeitszimmer zu stehen kamen, lässt sich aus dessen literarischem Essay „Der arme Hölderlin“ im weithin beachteten Gemeinschaftsprojekt Christa und Gerhard Wolfs „Ins Ungebundene gehet eine Sehnsucht. Projektionsraum Romantik“ von 1985 erschließen. Eine über sechs Jahrzehnte gewachsene Paar-Bibliothek folgt eigenen Gesetzen.
Voraussetzung für die Sicherung der Aufstellungsordnung war einerseits die Fotodokumentation der Regale (zum Teil in 3D) und andererseits eine detaillierte Verzeichnung jedes Buchexemplars vor dem Umzug.

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Abb. 2 Verzeichnen am 20. März 2023 (Foto: Ralf Klingelhöfer)

Dank enthusiastischer Teamarbeit ist somit dokumentiert, wo ein Buch ursprünglich stand, selbst wenn die Differenz zwischen 3,50 Metern Raumhöhe am Pankower Amalienpark und 2,70 Metern in der Arbeitsstelle eine Eins-zu-Eins-Aufstellung unmöglich machte. Schon während der langen Verzeichnungstage in der Wohnung machten die beteiligten Studierenden und Wissenschaftler:innen jede Menge Entdeckungen: Das Sinn und Form-Heft 1/1949 enthält Notizen Gerhard Wolfs. Die junge Christa Ihlenfeld widmet 1950 Kurt Tucholskys Rheinsberg für Verliebte ihrem zukünftigen Ehemann! Liebesgedichte von Stepan Stschipatschow – wer ist das wohl? – tragen eine 1951er Widmung Gerhard Wolfs an sie. Welcher Lebensbogen scheint auf zwischen Christa Wolfs ausführlichem Widmungstext vom 28. Juli 1957 in Walt Whitmans Gedichtband Grashalme und der zum 80. Geburtstag ihres Mannes in einem Kochbuch von Wolfram Siebeck! Wie aufschlussreich, dass Gerhard Wolf seine frühesten Lyrikerwerbungen signiert und datiert hat. Welche Lust auf Recherche löst ein Rilke-Bändchen aus dem Insel-Verlag mit dem Eintrag „Gerhard Wolf, Bad Frankenhausen, 1947. Abitur“ aus.

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Abb. 3 Namenseintrag Gerhard Wolf 1947 in Rilke (Foto: Birgit Dahlke)
Widmungen Louis Fürnbergs (1954), Edgar Hilsenraths (1978 und 1990) oder Saids (2001) fielen einem während der Verzeichnungsarbeit im März 2023 wortwörtlich ‚in die Hände‘. Was steckt hinter der undatierten Doppelunterschrift von Heinrich Böll und Lew Kopelew? Wie geriet die Widmung Paul Eluards für Stephan Hermlin in die Bibliothek der Wolfs? Den literaturgeschichtlichen Kontext, der sich hinter einer Unikat-Ausgabe Hugo Hupperts von 1940 verbirgt, hatte Emma Ulrich schon 2018 in ihrer Bachelorarbeit rekonstruiert.
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Abb. 4 Unikat 1940 von Hugo Huppert (Foto: Birgit Dahlke)

Max Frischs Widmung von 1975 in seinem Tagebuch 1946-1949 legt eine Spur zur jahrzehntelangen Korrespondenz zwischen Wolf und Frisch.

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Abb. 5 Widmung Max Frisch 1975 (Foto: Birgit Dahlke)

Verweist es auf die Gründungsgeschichte des bibliophilen Kleinverlags Januspress, wenn Oskar Pastior 1990 das Wort „Janus“ in seiner an Gerhard Wolf gerichteten Widmung erwähnt, oder auf den Titel des gewidmeten Exemplars Kopfnuß Januskopf mit Palindromen? Die Widmungen in der Privatbibliothek werfen Fragen auf, die Recherchen in Literaturgeschichten und Archiven initiieren. Sie dokumentieren deutsch-deutsche und übernationale Beziehungsgeschichten, die erst noch zu erzählen sind.

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Abb. 6 Widmung Oskar Pastior 1990 (Foto: Birgit Dahlke)

PD Dr. Birgit Dahlke
Leiterin der Arbeits- und Forschungsstelle
Privatbibliothek Christa und Gerhard Wolf an der HU
Sprach- und Literaturwissenschaftliche Fakultät
Institut für deutsche Literatur
Dorotheenstr. 24/ Räume 3.509, 3.543 und 3.544
Website Arbeits- und Forschungsstelle Privatbibliothek Christa und Gerhard Wolf

Die Privatbibliothek ist öffentlich zugänglich dienstags von 12 bis 14 Uhr sowie nach Vereinbarung mit Alina Mohaupt (E-Mail: mohaupal@hu-berlin.de).

Open Humboldt Freiräume

Mit der Förderlinie Open Humboldt Freiräume, die jetzt am HZK angesiedelt ist, werden Forscher:innen mit der Ressource Zeit gefördert, um Projekte im Bereich Wissenschaftsaustausch mit der Gesellschaft zu entwickeln.

Die Geförderten erhalten jeweils für das SoSe 2024 oder das WS 2024/25 eine Lehrreduzierung auf 0 SWS. Die Vertretung der Lehre wird aus Mitteln der Berlin University Alliance finanziert.

Antragsberechtigt sind Professor:innen, Postdocs, habilitierte wissenschaftliche Mitarbeiter:innen und Promovierende der HU Berlin. Die Stellen der Antragsteller:innen müssen ein Lehrdeputat aufweisen und vollständig aus Haushaltsmitteln finanziert sein.

Bewerbungsfrist ist der 27. Oktober 2023, 12 Uhr.

Bei Fragen wenden Sie sich bitte an Kathrin Klementz (HZK).

Ausschreibung für das SoSe 2024 oder das WS 2024/25

Zur Website der Förderlinie Open Humboldt Freiräume

Time is What you Make of it – Foto © Matthias Heyde

Kuratieren als Kulturtechnik: „Familie“ im Humboldt Forum

In Vorbereitung des Master-Studiengangs zur Kulturtechnik des Kuratierens lehrt Vize-Direktor Daniel Tyradellis im Wintersemester 2023/24 wöchentlich in der mechanischen Arena im Foyer des Humboldt Forums. Gemeinsam mit HU-Studierenden, Mitarbeiter:innen des Hauses und allen interessierten Besucher:innen werden die Potenziale des Themas „Familie – ein soziales Konstrukt“ für das Humboldt Forum diskutiert und kuratorische Ideen entwickelt.

Foto: (c) Atilgan Zirek

Objekt des Monats: Zweischaliges Hyperboloid der Firma Stoll (Nr. 224)

Objekt des Monats 10/2023

Nur wenigen Insidern würde sich das Objekt des Monats Oktober sofort erschließen. Das Modell eines zweischaligen Hyperboloids befindet sich in Adlershof, genauer gesagt im Institut für Mathematik und gehört zur dortigen Mathematischen Modellsammlung. Die Verbindung zur Universität reicht allerdings viel tiefer. Die Vorlage für das Modell entstand aus der Lehr- und Forschungstätigkeit des Instituts. Auch wenn das Modell nicht vollständig ist, so demonstriert es genau deshalb sehr schön den Grundgedanken einer Lehrsammlung, der in der Nutzung in der akademischen wie auch schulischen Lehre zu sehen ist. Deshalb bekommen die Objekte im Laufe ihrer Zeit Gebrauchsspuren oder gehen manchmal eben auch kaputt, auch wenn sie meist sehr robust für das Anfassen konstruiert sind. Aber der Reihe nach.
Hyperboloid - Abb.01
Exemplar des zweischaligen Hyperboloids der Firma Stoll (Nr. 224) in der mathematischen Modellsammlung in Adlershof. Die obere Schale fehlt, was auf die häufige Nutzung des Objektes hinweist (Foto: Robert Pässler, TU Dresden).

Das zweischalige Hyperboloid, eine geometrische Form in der Mathematik, ist eine Fläche zweiter Ordnung. Um sich daraus einen Körper zu denken, rotiert man eine Hyperbel um ihre Hauptachse. Dabei entstehen zwei getrennte Flächenstücke (im Modell als Körper), wobei im Falle des Berliner Modells das obere Flächenstück (der obere Körper) fehlt. Die Skizze in Abbildung 2 aus Meyers Großes Konversations-Lexikon von 1905 zeigt ein zweischaliges Hyperboloid mit den Achsen, wobei die im Bild dargestellte senkrechte Achse die Hauptachse ist.

Hyperboloid - Abb.02
Meyers Großes Konversations-Lexikon von 1905 zeigt ein zweischaliges Hyperboloid mit gedachten Achsen.

Interessant ist der Ursprung dieses Modells. Hergestellt wurde es von der Firma Rudolf Stoll K.G. Berlin. Sie befand sich in der Oderbruchstraße 8-14, also im Berliner Stadtteil Friedrichshain. Die Firma übernahm nicht nur die Herstellung, sondern auch den Vertrieb der Lehrmodelle.

Entwickelt wurden die Lehrmittel am II. Mathematischen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin unter Leitung von Professor Dr. Kurt Schröder (1909–1978). Er hatte den Lehrstuhl für Angewandte Mathematik inne und war auch Direktor des Instituts. In der ersten Hälfte der 1960er Jahre war er zudem Rektor der Humboldt-Universität.

Die Modelle der Firma Stoll lassen sich in einer Entwicklungslinie mit den seit den 1880er Jahren hergestellten mathematischen Modellen von Brill, Schilling und Wiener betrachten. Sie erschienen in einer Zeit, als ihr Einsatz in der mathematischen Lehre bereits durch andere Medien erfolgte. Trotzdem wurden sie hergestellt und vertrieben, und darüber hinaus auch regelmäßig eingesetzt.

Hyperboloid - Abb.03
Das beschrieben Modell im Katalog "Lehrmodelle für Mathematik" der Rudolf Stoll K.G. Berlin No. 18 (Quelle: SLUB Dresden).

Spuren der Firma Stoll finden sich heute nur wenige. Bis auf die in einigen mathematischen Sammlungen anderer Universitäten (z.B. TU Dresden oder Universität Marburg) nachweisbaren Modelle, existiert noch der Katalog „Lehrmodelle für Mathematik“ der Rudolf Stoll K.G. Berlin No. 18, der dreisprachig in Deutsch, Englisch und Französisch erschien. Gegliedert sind die dort gezeigten Modelle in Lehrmittel für Elementarmathematik, für Geometrie und für Analysis. Unser Modell findet sich unter der Nummer „Modell 224/114“ mit dem Hinweis, dass „ein zweischaliges Hyperboloid“ gezeigt wird. Das Gewicht beträgt 2 Kilogramm. Die Maße sind 20 x 16 x 30 cm.

In diesem Zusammenhang ist noch erwähnenswert, dass solche Verkaufskataloge keine klassischen Sammelobjekte von Bibliotheken sind. Sie sind deshalb sehr rar und oft nur durch Zufall erhalten. Die Preisliste zum Katalog der Firma Stoll ist nicht digital zu finden. Ob sich irgendwo ein Exemplar erhalten hat, wissen wir nicht.

Dr. Oliver Zauzig

Links:

Mathematische Modelle am Institut für Mathematik: https://www.mathematik.hu-berlin.de/de/sammlung-mathematik und https://www.sammlungen.hu-berlin.de/sammlungen/mathematische-modelle/

Mathematik und ihre Didaktik (abgeschlossenes Projekt zur Sammlung): https://didaktik.mathematik.hu-berlin.de/de/projekte/abgeschlossen/mathematische-modelle/modellhersteller-fa-rudolf-stoll

Zweischaliges Hyperboloid (Stoll) der Mathematische Modellsammlung der HU im Digitalen Archiv mathematischer Modelle: https://mathematical-models.org/de/models/1064

Mathematische Modelle auf der Projektseite Materielle Modelle: http://www.universitaetssammlungen.de/modelle/suche/art/Mathematische+Modelle

Digitalisierter Katalog „Lehrmodelle für Mathematik“ in den Digitalen Sammlungen der SLUB Dresden: https://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/90059/1

Hyperboloīd in Meyers Großes Konversations-Lexikon: http://www.zeno.org/Meyers-1905/A/Hyperboloīd

Gesa Grimme und Sarah Elena Link diskutieren „Afterlives of Empire“

Gesa Grimme und Sarah Elena Link, beide Mitarbeiterinnen der Koordinierungsstelle für wissenschaftliche Universitätssammlungen in Deutschland (HZK), diskutieren über wissenschaftliche Sammlungen im allgemeinen und ihren teilweise problematischen, imperialen Entstehungskontexte. Das Podiumsgespräch, an dem außerdem die Kunsthistorikerin Jo Vickery (Princeton/Berlin) sowie die Literaturwissenschaftlerin Birgit Neumann (Düsseldorf) teilnehmen, findet im Rahmen des Forschungsprojektes „Afterlives of Empire – Encounters of Art and Academia“ statt, das von Gesa Stedman (HU) initiiert wurde.

Kunststudierende aus Oxford und Berlin haben den Lichthof Ost in ein gemeinsames Atelier verwandelt, bevor er wieder zu einem Ausstellungsraum gemacht wurde, in dem die Auseinandersetzung der Künstler:innen mit mehreren wissenschaftlichen Sammlungen der Humboldt-Universität sowie Berliner Museen gezeigt wird. Sie haben insbesondere mit dem Lautarchiv, der geographischen Sammlung und der Winckelmann-Sammlung gearbeitet und sich damit einem neuen Verständnis des kolonialen Erbes an der HU und in Berlin angenähert.

Die Podiumsdiskussion findet am 10. September um 18:30 Uhr im Lichthof Ost des Hauptgebäudes der HU statt.

Alia Rayyan: Praxis der Risse. Partizipative Kunstpraxis in Jerusalem neu denken

Veröffentlichung/Neuerscheinung

Alia Rayyan: Praxis der Risse – eine trans- und interdisziplinäre Untersuchung sozial engagierter Kunstinterventionen in Ost-Jerusalem, erschienen im Sammelband „Double bind postkolonial. Kritische Perspektiven auf Kunst und Kulturelle Bildung“, herausgegeben von María do Mar Castro Varela und Leila Haghighat.

Alia Rayyan befasst sich in diesem Beitrag mit Fragen zur Anwendung von sozial engagierter und partizipatorischer Kunst als emanzipatorische Kunstform im öffentlichen Raum unter Berücksichtigung spezifischer lokaler Bedingungen. Basierend auf ihrer trans- und interdisziplinären Untersuchung, um Erfahrungen als Kuratorin von sozial engagierten Kunstinterventionen in Ost-Jerusalem in eine theoretische Diskussion zu übersetzen, werden gesammelte Herausforderungen und alternative Ansätze mit angewandten, kanonisierten Theorien der partizipatorischen Kunstpraxis und deren Terminologien kontrastiert. Das Ergebnis ist eine Diskussion, die soziologische Ansätze, Überlegungen aus der Kunstwissenschaft, der Erinnerungswissenschaft, der politischen Ideengeschichte sowie der Postcolonial Studies miteinander verbindet, ohne dabei den double bind der Autorin aus den Augen zu verlieren.

Double bind postkolonial. Postkoloniale Perspektiven im Kunstbetrieb und in der Kulturellen Bildung – Sammelband – herausgegeben von María do Mar Castro Varela und Leila Haghighat.
Cover Double bind postkolonial
Double bind postkolonial. Postkoloniale Perspektiven im Kunstbetrieb und in der Kulturellen Bildung – Sammelband – herausgegeben von María do Mar Castro Varela und Leila Haghighat. transcript Postcolonial Studies

Die Beiträge des Bandes beleuchten die Verantwortung der Kunst und Kunstvermittlung aus einer explizit postkolonialen Perspektive. Der Fokus liegt dabei auf dem »double bind«, der das Feld durchzieht und sich äußert in einer dilemmatischen Position zwischen Subversion und Affirmation. Dabei werden sowohl diskriminierende Praxen im Feld entlarvt als auch eine (auto-)kritische Theorieentwicklung vorangetrieben.

Mit Beiträgen von Gayatri Chakravorty Spivak, Nikita Dhawan, Ruth Sonderegger, Hayat Erdoğan, Aicha Kaleko, Sandra Babli, Joy Kristin Kalu, Anja Quickert, Thu Hoài Tran, Sruti Bala, Sab Naq, Tasnim Baghdhadi, Alia Rayyan, Carla Bobadilla, Carmen Mörsch, Mai-Anh Boger, Nina Simon, Nicole Suzuki, Rajkamal Kahlon

Weitere Informationen: https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-4986-4/double-bind-postkolonial/

Publikation „Das resonante Museum“

Das internationale Kulturprojekt Mindscapes endet mit der Publikation ‘Das resonante Museum’, einem Booklaunch im Gropius Bau und dem Launch seines Online-Archivs. 
 
Nach zwei Jahren Projektlaufzeit endet das internationale Kulturprojekt Mindscapes. Finanziert vom britischen Wellcome Trust beschäftigte sich das Projekt mit der Frage, wie Kultur zu einer Veränderung beitrage kann, wie mentale Gesundheit verstanden und definiert wird, wie damit umgegangen wird, und über sie gesprochen wird. In enger Kooperation mit dem Gropius Bau wurde das Projekt am HZK kuratorisch und wissenschaftlich von Dr. Margareta von Oswald betreut. 
 
Abschließend erscheint die Publikation ‘Das resonante Museum. Berliner Gespräche über mentale Gesundheit’ im Verlag der Buchhandlung Franz und Walther König auf deutsch und englisch
 
Die Grundlage für dieses Buch ist das Gespräch über mentale Gesundheit. Die Gespräche sind eine Momentaufnahme aus den Jahren 2021 und 2022 in Berlin. Personen aus Wissenschaft, Kultur, Politik und aktivistischen Kontexten äußern sich und zeigen auf: Wenn über mentale Gesundheit gesprochen wird, wird über Gesellschaft gesprochen. Diese Gespräche entstanden im Rahmen einer Kooperation zwischen dem Gropius Bau und Mindscapes, dem internationalen Kulturprogramm zum Thema mentale Gesundheit von Wellcome. Einleitende Texte diskutieren Öffnungsprozesse im Museum, und stellen die Frage, wie Museen zu gesellschaftswirksamen Orten werden können.
 
Wir feiern die Veröffentlichung des Buches am 30. September im Gropius Bau
 
Außerdem haben wir in den letzten Monaten intensiv am internationalen Archiv des Projekts gearbeitet. Dieses ist nun online verfügbar auf www.mindscapes.community

Objekt des Monats: Ein starkes Stück: Annemirl Bauer, Männliche Herrlichkeit Gottes, 1988

Objekt des Monats 09/2023

Anklagend, schockierend, melancholisch – das großformatige Bild von Annemirl Bauer ist ausdrucksstark. Von den Augen einer mittig platzierten Frauenfigur, in Häftlingskleidung auf einer Kiste kauernd, gehen Strahlen zu beiden Seiten des Bildes aus. Links steht eine Reihe nackter Frauen mit hochhackigen Schuhen in Reih und Glied, die Vorderste streckt die bewaffnete Hand aus. Hinter ihr sind weitere Figuren, z. T. mit übergroßem Phallus. Die Pistole weist auf die rechte Bildseite mit einer aus Krücken gekreuzigten Frauenfigur, aus deren Schoß Blut strömt. Eine männliche Armee, in Köpfen angedeutet am unteren rechten Bildrand ist mit der Anrufung der Dreifaltigkeit beschrieben. Die düsteren, gewaltsamen und sexualisierten Bildszenen werden nur ganz am rechten Bildrand konterkariert durch eine im goldenen Lichtschein stehenden Mutter mit Kind, allen Anfeindungen zum Trotz aufrecht und ruhig dastehend.

Der Titel „Männliche Herrlichkeit Gottes“, im Bild präsent durch Schriftzeichen am Himmel bzw. auf einer Rakete, verweist ebenso auf die (von Männern verübten) Schrecken des Krieges und der Gewalt wie auf die Rollen der Frau – als Opfer, als Täterin, als Mutter

A.Bauer Männliche Herrlichkeit Gottes
Annemirl Bauer, Männliche Herrlichkeit Gottes, Öl/ Teppich, 208 x 246 cm, 1988

Seit 2018 hängt das Bild als eines der wenigen in der Öffentlichkeit noch präsenten Werke von Annemirl Bauer in der Humboldt-Universität. Die streitbare Malerin, selbst von der Stasi überwacht, aus dem Künstlerverband der DDR ausgeschlossen und mit nachfolgendem Arbeitsverbot belegt, setzte sich immer wieder mit feministischen Themen auseinander. Die „Männliche Herrlichkeit Gottes“ lässt sich darüber hinaus ganz konkret mit dem Wehrpflichtgesetz für Frauen in der DDR, den „Frauen für den Frieden“, aber auch mit der in der Bundesrepublik inhaftierten Feministin Ingrid Strobl in Verbindung bringen.

1982 wurde ein neues Wehrdienstgesetz erlassen, das auch Frauen im Mobilmachungsfall zur Landesverteidigung herangezogen hätte. Dagegen haben 150 Frauen in einem gemeinsamen Plädoyer an Erich Honecker protestiert: „Wir Frauen wollen den Kreis der Gewalt durchbrechen und allen Formen der Gewalt als Mittel zur Konfliktlösung unsere Teilnahme entziehen. […] Wir Frauen verstehen die Bereitschaft zum Wehrdienst als eine Drohgebärde, die dem Streben nach moralischer und militärischer Abrüstung entgegensteht und die Stimme der menschlichen Vernunft im militärischen Gehorsam untergehen läßt.“ (Eingabe zum Wehrdienstgesetz an den Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker, 12. Oktober 1982)
Dieser pazifistischen Kritik folgte eine Welle von Vernehmungen durch die Staatssicherheit, Einschüchterungen und Verhaftungen – bspw. auch der politisch aktiven Malerin und Hauptunterzeichnerin Bärbel Bohley, die ebenso wie Annemirl Bauer im Verband Bildender Künstler der DDR organisiert war, aus dessen Bezirksvorstand sie 1983 ausgeschlossen wurde.

Ingrid Strobl wiederum, eine österreichische Journalistin, die von 1979 bis 1986 Redakteurin der Zeitschrift Emma in Köln war, wurde 1987 als Terrorismusverdächtige in Untersuchungs- bzw. Isolationshaft genommen. Sie war dabei gefilmt worden, wie sie einen Wecker kaufte, der vom BKA präpariert worden war und 1986 beim Anschlag auf das Verwaltungsgebäude der Lufthansa in den Überresten einer Bombe identifiziert werden konnte. Der Anschlag gegen die Lufthansa, verübt von der Organisation „Revolutionäre Zellen“, hatte ebenfalls einen feministischen Hintergrund und zielte auf den Sextourismus („staatlichen Rassismus, Sexismus und das Patriachat“, wie die Revolutionären Zellen selbst angaben, vgl. Ingrid Strobl: Vermessene Zeit. Der Wecker, der Knast und ich, Hamburg 2020). Strobl erhielt nach ihrer Verhaftung öffentliche Solidarität.

Auch ohne die Kenntnis dieser historischen Hintergründe wirkt das Werk von Annemirl Bauer durch seine offensive Bildsprache, die auch mit religiösen Motivzitaten spielt.
Trotz aller Kritik – insbesondere auch gegen die Ablehnung von Annemirl Bauer immer wieder geforderten Reisemöglichkeiten „mit Wiederkehr“ – war die Künstlerin keine Dissidentin und wollte die DDR nicht verlassen. Die gesellschaftlichen und politischen Strukturen verändern, das war zeitlebens ihr Kampf, den sie kurz vor dem Mauerfall im Sommer 1989 durch ihren frühen Tod verlor.
Seit 2010 erinnert ein nach ihr benannter Platz in Friedrichshain am Bahnhof Ostkreuz an die streitbare Künstlerin.

Autorin: Dr. Christina Kuhli

Drei historische Schellackplatten finden ihren Weg zurück aus der Nasjionalbiblioteket Oslo ins Berliner Lautarchiv

Besonders bedeutsam: Die drei Platten galten bis dato in Berlin als Verlust; es existierten bislang auch keine Digitalisate. In Oslo wurden Digitalisate angefertigt und ebenfalls dem Lautarchiv übermittelt. Die Schellackplatten waren von dem Begründer des Lautarchivs Wilhelm Doegen (1877–1967) oder von dem Göttinger Iranist Friedrich Carl Andreas (1846–1930) an den norwegischen Indo-Iranist Georg Morgenstierne (1892–1978) verliehen worden. Über den Nachlass Morgenstierne gelangten sie in die norwegische Nasjionalbiblioteket.

Auf den Platten befinden sich die Stimmen von Ábdil Kadír Khan, Beidullah Khan und Shahdad Khan (Afghanisch und Belutschi).

Die Platten wurden mit offizieller Genehmigung des norwegischen Ministeriums und einer schriftlichen Erklärung der Nasjionalbibliotekek nach Berlin gebracht.

Das Lautarchiv bedankt sich insbesondere bei Johanne Ostad, Bente Granrud und Włodek Witek von der Osloer Nasjionalbiblioteket.