Einblicke in das Programm „Lernen und Lehren mit der Gesellschaft“
Das folgende Interview führte Marlene Lüdorff, studentische Hilfskraft am Zentrum für Kulturtechnik, mit Vincent Leonhardt, Teilnehmer des Seminars Overloaded – Interimperial Entanglements of Material and Photographic Collections im August 2025. Das Master-Seminar wurde im Sommersemester 2025 am Institut für Europäische Ethnologie unter der Leitung von Prof. Dr. Magdalena Buchczyk, Dr. Hanin Hannouch (Weltmuseum Wien) und Anna Szöke (Ethonologisches Museum Berlin) durchgeführt und im Rahmen des Förderprogramms Lernen und Lehren mit der Gesellschaft vom Kompetenzfeld Wissensaustausch mit der Gesellschaft am Zentrum für Kulturtechnik unterstützt, das insbesondere die Abschlussveranstaltung Café Interimperial ermöglichte.
Marlene Lüdorff: Hallo Vincent! Schön, dass du hier bist! Worum ging es im Seminar Overloaded Interimperial Entanglements of Material and Photographic Collections insgesamt und wie hat sich daraus die Idee für das Café Interimperial entwickelt?
Vincent Leonhardt: Das Projekt Overloaded! rückt die Archive Europäischer Museen in den Fokus und zeigt, wie imperialer Ballast in den Sammlungspraktiken nachwirkt. Es geht darum, wie die verschiedenen kolonialen Imperien historisch untereinander verbunden sind und interimperial arbeiten. Dabei geht es auch darum, inwiefern durch Verbindungen zwischen den verschiedenen Imperien ein gesamtes imperiales System gestärkt wird. In dem Seminar haben wir mit dem Weltmuseum Wien und dem Ethnologischen Museum Berlin zusammengearbeitet und haben uns mit verschiedenen Archivalien aus den Archiven befasst.
Die Idee für das Café Interimperial hat sich daraus entwickelt, dass jede studierende Person in dem Seminar ein Forschungsprojekt machen musste. Angefangen hat die Arbeit immer mit Stücken aus dem Archiv und dem Museum, das war sehr praxisorientiert. Unsere Idee war es mit dem Café Interimperial eine Ausstellung zu präsentieren mit Stücken, die auch zum Beispiel im Museum sein könnten, und wodurch Besucher:innen sich eine weitere Sicht auf die historischen Ereignisse bilden können. Für die Darstellung der Forschungsresultate konnten wir dann durch die Förderung Lernen und Lehren mit der Gesellschaft das Cafe InterImperial umsetzen. Das Café Interimperial war inspiriert von einem Wiener Kaffeehaus, um halt ein bisschen dieses Imperiale nochmal überspitzt darzustellen und war dementsprechend sehr kontrastreich zu unserer postkolonialen Forschung. Dadurch ergab sich ein schönes Spannungsfeld zwischen dem Ausstellungsraum und unseren Forschungsergebnissen.

Wie habt ihr diesen Ansatz von Lernen und Lehren mit der Gesellschaft im Seminar konkret umgesetzt? Also wie seid ihr mit Fragen, Wissen und Erfahrungen aus der Gesellschaft in Kontakt getreten?
Grundsätzlich geht es ja darum, dieses koloniale Erbe zu verstehen und damit zu arbeiten. Das ist auch bei uns am Institut für Europäische Ethnologie eines der Hauptthemen. Das lässt sich zum Beispiel an der neulichen Umbenennung von der M-Straße in die Anton-Wilhelm-Amo-Straße, ein Prozess, der viele Jahre gedauert hat und jetzt endlich durchgesetzt wurde, erkennen.
Diesen gesellschaftlichen Diskurs haben wir auch aufgegriffen. Und wie sind wir da mit den Fragen, Wissen und Erfahrungen aus der Gesellschaft in Kontakt gekommen? Ja, im Grunde halt gerade durch die Kooperation mit dem Objektlabor (am Zentrum für Kulturtechnik). Diese hat uns die Möglichkeit und den Raum gegeben, durch das Café Interimperial einen sehr großen Austausch mit allen möglichen Personen zu kreieren, die partizipieren konnten. Dieser Austausch war auch für mein Projekt sehr hilfreich.

Mit welchem Thema oder Objekt hast du dich persönlich im Seminar beschäftigt und wie bist du darauf gestoßen?
Ich habe mich mit der postkolonialen Vermittlung durch spielerische Ansätze am Beispiel der Restitution der Benin-Bronzen beschäftigt und mich dazu entschieden, ein dekoloniales Brettspiel zu entwickeln. Die Restitution und Neuinterpretation koloniale Artefakte wie der Benin-Bronzen bleibt weiterhin ein zentrales Thema. Diese Bronzen wurden 1897 von britischen Truppen aus dem Königreich Benin, dem heutigen Nigeria, geraubt und befinden sich heute in vielen europäischen Museen, darunter auch in dem Ethnologischen Museum in Berlin. Dort hat die Restitution inzwischen begonnen, die kulturellen Objekte wurden zurückgegeben und stehen als Leihgabe weiterhin im Museum.
Wie bin ich darauf gekommen? Das hat angefangen mit einer Objektstudie über die Idia Iyoba, dem Gedenkkopf einer Königinmutter. Das ist eines der Hauptstücke der Benin-Ausstellung im Ethnologischen Museum. Ich habe mich zunächst mit der Provenienz beschäftigt. Ich hatte vor etwas Praktischeres zu machen und habe schon während meines Bachelorstudiums ein Brettspiel entwickelt. Durch viel Feedback habe ich schließlich ein dekoloniales Quartett mit 32 Karten kreiert, in dem acht Benin-Bronzen ihre eigenen Geschichten erzählen. Ich habe dabei die Theorie der Critical Fabulation von Saidiya Hartmann angewendet, das ist eine Erzählweise, die Lieferungslücken kolonisierter Gesellschaften mit spekulativen Narrativen füllt. Mit dieser Methode sprechen die acht Objekte aus der Benin Ausstellung in Berlin und erzählen ihre Geschichte. Jedes Quartett behandelt in vier Karten die Entstehung, den kolonialen Raub, die Gegenwart und eine imaginative Zukunft des jeweiligen Objekts. Und so erfahren die Spielenden durch das Sammeln eines Quartetts die Geschichte, beispielsweise von der Königinmutter Idia Iyoba aus ihrer eigenen Perspektive.
Bei der imaginativen Zukunft bin ich in verschiedene Richtungen gegangen, zum Beispiel hat ein kulturelles Objekt, weil es so lange aus seinem Heimatland getrennt wurde, den Willen zu Leben verloren und zerfällt. Dann stehen auch sehr viele Objekte im Archiv in Dahlem und sind für niemanden sichtbar. Und da kann es natürlich auch in der Zukunft sein, dass diese Objekte niemals gesehen werden und dass sich die Objekte sehr einsam fühlen. Aber ich bin auch in andere Richtungen gegangen, es wurden ja auch schon Stücke restituiert und sind in Nigeria und ich habe auch diese Perspektive präsentiert. Sowie auch eine Perspektive, wo alle gestohlenen Kunstwerke wieder zurückgekehrt sind und alle in einem Museum sind. Ich habe auch eine Figur genommen, die mich als Studierenden und als Forscher kritisiert, um auch diese Perspektive zu zeigen, dass auch ich als studierende Person sorgfältig mit den Geschichten umgehen muss, da es nicht meine Geschichte ist. Also durch dieses koloniale Erbe ist das auch meine Geschichte, aber in der Perspektive des Schuldigen.
Und im Quartett tauschen die Spielenden die Karten aus und das Spiel ist trotzdem dekolonial gestaltet, denn es gibt keinen Gewinner. Es geht einfach darum die Karten zu sammeln und wenn man die Karten sammelt, dann ergibt sich ein Quartett und das kann man dann zum Beispiel vorlesen. Und dann ergänzen sich die Karten auch visuell in dem Kartenspiel. Man legt die Karten ab und füllt dadurch das Spielbrett aus und dadurch legt man auch sein Wissen ab, also man behält das Wissen, aber man legt den Wert des Objekts quasi ab, dorthin wo es hingehört.

Wie kann man sich denn die Ausstellung deines Projektes beim Café Interimperial vorstellen?
Die kann man sich so vorstellen, dass wir als Studierende unsere Forschungsresultate zum größten Teil multimodal präsentiert haben. Das heißt, ich hatte einen Tisch und da war dieses Brettspiel ausgestellt und dann konnten sich die Besucher:innen an den Tisch setzen. Sobald genug Besucher:innen da waren, konnte das Spiel gespielt werden und man sich gegenseitig nach Spielkarten abfragen. Durch den Austausch war es möglich, auf der einen Seite für mich als forschende Person mehr über meine Forschung und Forschungsfrage zu erfahren, aber auch für die besuchenden Personen sich weiterzubilden über das koloniale Erbe Deutschlands und somit Denkanstöße zu bekommen. Ja, und ich habe halt auch, das war richtig gut, sehr viel Feedback bekommen oder mir sind Sachen aufgefallen, die mit dem Spiel noch nicht so gut funktioniert haben. Das ist eine sehr große Lernkurve gewesen. Da Anna Szöke auch Teil des Seminars war, hatte ich zudem auch die Möglichkeit mein Spiel im Benin Raum im Ethnologischen Museum für einen Tag auslegen zu können. Dafür bin ich einen Samstag den ganzen Tag hingegangen und habe mit den Personen vor Ort gespielt und mit ganz vielen Besucher:innen geredet. Das war eine richtig gute Erfahrung.
Wie war die grundlegende Resonanz von Besucher:innen bei der Ausstellung des Spiels im Ethnologischen Museum und im Objektlabor im Zentrum für Kulturtechnik?
Die Resonanz ist durchgehend positiv gewesen. Jedoch zum Beispiel im Museum, wo ich war, da war ich einer viel größeren Bandbreite von Publikum ausgesetzt und da haben sich dann auch sehr viele Personen kritisch über die Restitution geäußert. Ihre Perspektive war, dass diese Werke deutsches Kulturgut sind und das die deutschen Museen sehr gut auf diese Kunstwerke aufpassen. Und das war sehr interessant, dort andere Perspektiven wahrzunehmen. Das sind sehr realle Perspektiven, die man zum Beispiel auch in der politischen Debatte im Bundestag sehen kann. Das war interessant, da auch mit Besucher:innen zu diskutieren,die dannvielleicht auch ihre Meinung ändern.
Mir ist besonders eine Begegnung im Kopf geblieben, das war eine Begegnung mit einem älteren Mann. Der hat sich eine Karte von meinem Spiel angeschaut. Und ich erinnere, wie ich mit diesem Mann halt über dieses Spiel geredet habe und dann über diese Karte. Der Mann meinte, dass dadurch, dass die Karte so persönlich zu ihm gesprochen hat, er der Meinung ist, dass eigentlich diese Figur, ja, dass die Restitution eine gute Sache ist und dass die Figuren ja eigentlich alle zurückkehren sollten. Ja, das hat mir halt die Bestätigung gegeben, dass ich mit meinem spielerischen Ansatz auf dem richtigen Weg bin und dass man dadurch aktiv Meinungen beeinflussen kann.
Was ist seit dem Café Interimperial mit deinem Projekt passiert und gibt es Pläne oder Ideen, wie es damit weitergeht?
Ja, auf der einen Seite bin ich weiterhin in Kontakt mit dem Ethnologischen Museum, um weiterhin an verschiedenen Tagen mein Spiel dort zu spielen. Zum Beispiel Sonntags gibt es auch immer eine Führung, wo mehr Zeit im Raum mit den Benin Bronzen verbracht wird. Da ergibt sich dann die Möglichkeit mit Personen, die sich wirklich sehr für dieses Thema interessieren und an einer Führung teilnehmen, auch nochmal in Kontakt zu kommen. Ich habe jetzt schon sehr viel Zeit in dieses Spiel investiert und deshalb würde ich auch gerne meine Masterarbeit über die Vermittlung von postkolonialem Erbe anhand spielerischer Theorien schreiben.
Ansonsten habe ich auch durch die Zeit im Museum und mit den Personen, die im Museum arbeiten, die Möglichkeit bekommen, ein Praktikum im Ethnologischen Museum anzufangen, was mir natürlich die Möglichkeit gibt, nochmal tiefer in das Thema einzutauchen und auch mir eine berufliche Zukunft näher zu bringen. Das war wirklich eine sehr große Unterstützung, die ich vor allem auch vom Ethnologischen Museum bekommen habe und das hat mich sehr motiviert, da auch einfach Zeit reinzustecken. Und jetzt, wenn wir da groß denken, also ich habe nicht vor, dieses Projekt jetzt auf die Seite zu legen, sondern ich würde das halt gerne weiterentwickeln und weiter ausstellen. Ich würde mich gerne auch für ein Austausch-Stipendium bewerben, um zum Beispiel nach Nigeria zu gehen und dort aktiv mit nigerianischen Museen an dem Projekt zusammenzuarbeiten, da ich einfach an diesem Feld der Vermittlung sehr viel Spaß habe.
Gibt es noch irgendwas, was du sagen willst?
Ich würde mich noch gerne bei Prof. Dr. Magdalena Buchczyk, bei Dr. Hanin Hannouch und bei Anna Szöke bedanken für die tolle Leitung des Seminars!

 
	
 
	
 
	 
								 
								 
								 
								 
											 
	 
	 
	

 
	 
								 
								 
								 
								 
	 
	 
											