Archiv der Kategorie: Aktuelles

Vortrag: historische Tonaufnahmen indigener Stimmen und Traditionen

Sebastian Klotz hat im Rahmen der RUPERTO CAROLA RINGVORLESUNG der Universität Heidelberg mit dem Thema “IMMATERIELLES ERBE: EINE ZUKUNFTSRESSOURCE?” im Juni 2023 eine Vorlesung zum Thema “Dokument oder transformative Ressource? Phonographische Aufnahmen im UNESCO-Register „Memory of the World“ gehalten. Der gesamte Vortrag ist als Video verfügbar.

Sebastian Klotz spricht über den sensiblen Umgang mit phonographischen Aufnahmen.

Wie ein angemessener und sensibler Umgang mit historischen Tonaufnahmen indigener Stimmen und Traditionen aussehen kann, ist Thema der nächsten Veranstaltung in der Ruperto Carola Ringvorlesung. Prof. Dr. Sebastian Klotz von der Humboldt-Universität zu Berlin spricht unter dem Titel „Dokument oder transformative Ressource?“ über „Phonographische Aufnahmen im UNESCO-Register Memory of the World“. Sein Vortrag ist Teil der Ringvorlesung mit dem Titel „Immaterielles Kulturerbe – eine Zukunftsressource?“, zu der die Universität Heidelberg in diesem Sommersemester einlädt. Hintergrund der Reihe bildet das vor 20 Jahren geschlossene Übereinkommen, mit dem sich die UNESCO für den Kulturerbe-Schutz einsetzt.

Die Veranstaltung mit Prof. Klotz findet am Mittwoch, 28. Juni 2023, in der Aula der Alten Universität statt und beginnt um 18.15 Uhr.

Die historischen Walzenbestände des Berliner Phonogramm-Archivs wurden 1999 in das Weltdokumentenerbe aufgenommen. Seitdem haben sich, wie Prof. Klotz betont, die Perspektiven auf phonographische Aufnahmen verschoben. Galt die Würdigung durch die UNESCO damals in erster Linie der Sicherung und Wahrung verlorener oder gefährdeter Traditionen, rücken heute die Umstände ihrer Entstehung in das Blickfeld. Mit dem Konzept der sensiblen Sammlungen werden die eingeschränkten Rechte und Handlungsräume der unter kolonialen oder Kriegsumständen aufgezeichneten Akteure thematisiert. Indigenen Gruppen wurden ihre Stimmen und kulturellen Traditionen mithilfe ihnen nicht zugänglicher Technologien entzogen, um sie ohne weitere Einflussnahme auszuwerten und zu interpretieren. Nach den Worten des Referenten erweisen sich die historischen Aufnahmen als transformative Objekte, deren kulturelle Bedeutung nicht fixierbar ist, sondern multidimensional fortgesetzten Aushandlungsprozessen in Wechselwirkung mit den Herkunftskulturen unterliegt. Sebastian Klotz ist Professor für Transkulturelle Musikwissenschaft und Historische Anthropologie an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 75/2023
Universität Heidelberg
22. Juni 2023

Demokratiefragen des digitalen Finanzsektors – eFin & Demokratie

Daniel Tyradellis, Vizedirektor des Helmholtz-Zentrums, ist Mitglied der Projektgruppe “efin & Demokratie” des ZEVEDI – Zentrum verantwortungsbewusste Digitalisierung, gefördert durch die Stiftung Mercator.
Die aus Vertreter:innen von Wirtschaft, Recht, Wissenschaft, Kultur und Medien sich zusammensetzende Gruppe begleitet über fünf Jahre kritisch die Pläne der EZB zur Einführung des digitalen Euro. Ziel ist eine inter- und transdisziplinäre Öffnung der Diskussionen über die mit dem digitalen Zentralbankgeld verbundenen gesellschaftlichen Auswirkungen.

Weitere Informationen finden Sie in der Website eFin & Demokratie des ZEVEDI.

eFin & Demokratie
eFin & Demokratie © Matthias-Seifert

Objekt des Monats: Fotografische Reproduktion des Röntgenbildes eines gebundenen Fußes

Objekt des Monats 06/2023

Über einen Zeitraum von tausend Jahren wurden chinesischen Mädchen die Füße gebunden, um sie zu verkürzen. Europäer:innen blickten mit einer Mischung aus Faszination und Befremden auf diese Schönheitspraxis. Im 19. Jahrhundert interessierten sich auch Mediziner für die gebundenen Füße, einer von ihnen war der Berliner Anatom Hans Virchow, dessen podologische Sammlung sich heute im Centrum für Anatomie der HU befindet.

Zu dieser Sammlung gehört auch das hier präsentierte Objekt, ein auf Karton geklebter Abzug eines Röntgenbildes (vgl. zu diesem https://www.sammlungen.hu-berlin.de/objekte/sammlung-am-centrum-fuer-anatomie/8468/), der handschriftlich mit „Fuß einer 32 jähr. chin. Frau“ bezeichnet ist.

Fuß einer 32 jähr. chin. Frau
Fotografische Reproduktion des Röntgenbildes eines gebundenen Fußes, Foto: Felix Sattler

Das Skelett zeigt die charakteristischen Merkmale gebundener Füße: Die kleinen Zehen sind unter die Sohle gekrümmt, der Spann ist nach oben gewölbt. Außer der extremen Verkürzung springt vor allem die genagelte Sohle ins Auge – offensichtlich wurde das Röntgenbild durch den Schuh aufgenommen.

Wie es dazu kam, lässt sich der „Zeitschrift für Ethnologie“ entnehmen: Im März 1905 lud Hans Virchow die Mitglieder der Anthropologischen Gesellschaft ins Foyer des Berliner Zirkus Schumann „zur Besichtigung der gegenwärtig hier weilenden Chinesentruppe“, um sich „von der Kleinheit und Umformung der Chinesinnenfüsse“ zu überzeugen. Über die Identität der „Truppe“ geben Anzeigen und zeitgenössische Quellen Aufschluss. Es handelte sich um den Zauberer Ching Ling Foo und die „berühmten kleinfüssigen Frauen“: seine Ehefrau (die „32 jähr. chin. Frau“), ihre Tochter Chee Toy und Chee Roan, deren Name auf einer Fotografie im Náprstek-Museum Prag, einer anderen Etappe ihrer Europatournee, vermerkt ist (vgl. Heroldová 2008). 

Fotografie im Náprstek-Museum Prag
Ching Ling Foo, seine Frau, Chee Roan und Chee Toy im Náprstek-Museum, 1905, Schwarzweißfotografie auf Karton, © Náprstek-Museum Prag

Schon in der Einladung hatte Virchow Hoffnungen auf eine Inspektion unverhüllter Füße gedämpft, „denn bekanntlich [seien] die chinesischen Frauen in bezug auf ihre Füsse besonders diffizil“. Tatsächlich wurden gebundene Füße in China nie öffentlich nackt gezeigt. Ausländische Fotografen und Ärzte brachen im 19. Jahrhundert vielfach das Blicktabu, indem sie Frauen mit Geld und Geschenken bedrängten. Auch die Artistinnen verweigerten sich dem zudringlichen Blick, ließen sich aber zu Röntgenaufnahmen bewegen – durch den Schuh. Ob dies, wie James Fränkel in der „Zeitschrift für orthopädische Chirurgie“ behauptet, nur gelang, weil die Frauen das 1895 entdeckte Verfahren nicht kannten oder ob er hier den Topos des heimlichen „Röntgenblicks“ bemühte, lässt sich nicht entscheiden. Die Aufnahme jedenfalls zeugt nicht nur von dem übergriffigen medizinischen Blick, sondern auch von dem Widerstand der Frauen.

Für die Anatomen war die Kampagne ein Erfolg, denn sie erlaubte nicht nur die Füße in drei Stadien der Verformung zu sehen, sondern – wider das populäre Vorurteil von der Gehunfähigkeit – auch in Bewegung. Für die Publikation der Untersuchungsergebnisse nahm Virchow mehrfache Überarbeitungen an den Röntgenbildern vor: Er drehte und retuschierte die Aufnahmen, um sie besser lesbar zu machen (vgl. Dünkel 2021). Für ihn war der Ortstermin weder die erste noch die letzte Begegnung mit gebundenen Füßen. Schon 1903 hatte er ein nach dem Ersten Opiumkrieg in die Berliner Sammlung gelangtes Feuchtpräparat untersucht, 1912 mazerierte er die Füße einer an Typhus verstorbenen Frau, die er im Zuge des „Boxerkriegs“, der Niederschlagung der Yihetuan-Bewegung, erhalten hatte. Hatten Mediziner im 19. Jahrhundert neben dem Blicktabu immer wieder auch den mangelnden Zugang zu chinesischen Leichen beklagt, änderte sich die Situation durch die Einrichtung von Missionskrankenhäusern und die Kolonialkriege. Bald besaß fast jede anatomische Sammlung der Imperialmächte Präparate gebundener Füße – einige davon aus geplünderten Gräbern. Auch Virchows Sammlung von Abgüssen, Modellen und Knochen gebundener Füße verdankt sich den kolonialen Bedingungen. Die Ausstellung „unBinding Bodies“ im gegenüberliegenden Tieranatomischen Theater hat es sich zur Aufgabe gemacht, die sensiblen Objekte neu zu kontextualisieren. Im Fokus stehen nicht die Füße, sondern die chinesischen Frauen und ihre Lebenswelten. Die Ausstellung läuft bis zum 31. August.

Jasmin Mersmann und Evke Rulffes

Ausstellung
unBinding Bodies. Lotosschuhe und Korsett im TA T

Katalog
unBinding Bodies – Zur Geschichte des Füßebindens in China
Jasmin Mersmann / Evke Rulffes (Hg.)
transcript Verlag, 2023. Open Access.

Literatur
Vera Dünkel (2021): Beyond Retouching. Hans Virchow‘s Mixed Media and his X-ray Drawings of the Lotus Foot, in: Hybrid Photography, hrsg. von Sara Hillnhuetter, Stefanie Klamm, Friedrich Tietjen, London/New York, S. 79–88.

James Fränkel (1905): Ueber den Fuß der Chinesin, in: Zeitschrift für orthopädische Chirurgie 14, S. 339–356.

Helena Heroldová (2008): Příběh jedněch botiček, in: Cizí, jiné, exotické v české kultuře, hrsg. von Kateřina Bláhová und Václav Petrbok, Prag, S. 126–133.

Jasmin Mersmann (2023): Bis auf die Knochen. Gebundene Füße in anatomischen Sammlungen, in: unBinding Bodies, hrsg. von ders. und Evke Rulffes, Bielefeld, S. 119–129.

Hans Virchow (1903): Das Skelett eines verkrüppelten Chinesinnen-Fußes, in: Zeitschrift für Ethnologie 35:2, S. 266–316 und (1905): Weitere Mitteilungen über die Füße von Chinesinnen, in: ZfE 37:4, S. 546–568.

Die Publikation “Heritage Futures” ist in der Auswahl für den EAA-Buchpreis 2023

Die EAA (European Association of Archaeologists) vergibt jährlich den EAA-Buchpreis, um aktuelle Veröffentlichungen von EAA-Mitgliedern zu würdigen. Bis zum Stichtag 28. Februar 2023 gingen insgesamt 49 Nominierungen ein. Das Komitee zur Auswahl des Buchpreises hat zehn Publikationen in die engere Auswahl genommen, die es weiter bewerten wird. Der Gewinnertitel wird bei der Eröffnungszeremonie der 29. EAA-Jahrestagung in Belfast, Nordirland, bekannt gegeben. Die Publikation “Heritage Futures” befindet sich in der engeren Auswahl für den EAA Buchpreis 2023: Website des EAA Book Prize 2023.

Heritage Futures: Comparative Approaches to Natural and Cultural Heritage Practices
von Rodney Harrison, Caitlin DeSilvey, Cornelius Holtorf, Sharon Macdonald, Nadia Bartolini, Esther Breithoff, Harald Fredheim, Antony Lyons, Sarah May, Jennie Morgan, und Sefryn Penrose.
UCL Press 2020, Open Access.
Nähere Informationen und den kostenlosen Download der Publikation finden Sie auf der Website von UCL Press.

Magdalena Buchczyk: Weaving Europe, Crafting the Museum

Buchczyks Monografie Weaving Europe, Crafting the Museum bietet neue Einblicke in die wenig bekannte Sammlung des Museums Europäischer Kulturen (MEK) in Berlin. Sie erforscht die Geschichte und den Wandel der materiellen Kultur in Europa anhand der Geschichten eines Korbes, eines Teppichs, einer Weste, einer Uniform und eines Kleides. Der Fokus auf die Objekte des MEK bietet eine innovative und herausfordernde Art, Textilkultur und Museen zu verstehen. Das Buch zeigt, dass Textilien gleichzeitig als materieller Forschungsgegenstand und als Objektiv, durch das sich Museen betrachten lassen, verwendet werden können. Auf diese Weise schließt die Publikation eine Forschungslücke, indem es das Wissen über Textilien wieder ins Museum zurückbringt.

Jedes Kapitel konzentriert sich auf eine Objektgeschichte und kann einzeln gelesen werden. Von den Wachsfigurenkabinetten des 19. Jahrhunderts über die Sammlungen des Nationalsozialismus, die Ausstellungen des Kalten Krieges in Ost- und West-Berlin bis hin zu den institutionellen Umschichtungen nach der deutschen Wiedervereinigung wird die sich dramatisch verändernde Geschichte des Museums und seiner Sammlung aufgezeigt.
Auf der Grundlage von Recherchen mit Museumskurator*innen, Hersteller*innen und Nutzer*innen der Textilien in Italien und Deutschland, Polen und Rumänien bietet die Monografie intime Einblicke in die Art und Weise, wie Objekte für sehr unterschiedliche soziale und politische Effekte mobilisiert werden. Es wirft ein neues Licht auf die grenzüberschreitenden Bewegungen, die politische Verwendung von Textilien durch faschistische und kommunistische Regime, dem Vergessen und dem kulturellen und touristischen Nachleben von Objekten. Das Buch befasst sich mit diesem komplexen musealen Erbe und zeigt neue Wege auf, um die Zukunft zu gestalten.

Weitere Informationen: https://www.bloomsbury.com/uk/weaving-europe-crafting-the-museum-9781350226739/

Über die Autorin: Magdalena Buchczyk ist Juniorprofessorin für Sozialanthropologie mit Schwerpunkt auf kulturellen Ausdrucksweisen  an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihr ethnographischer Forschungsbereich umfasst Sammlungen, materielle Kultur und immaterielles Erbe.

Objekt des Monats: Goethea strictiflora Hook aus der Sammlung: „Tropische und Subtropische Zierpflanzen“ der Humboldt-Universität zu Berlin

Objekt des Monats 05/2023 

Pflanzenbeschreibung

Die aus Brasilien stammende Goethea gehört zu den Malvengewächsen (Malvaceae). Sie bildet einen schwach verzweigten Strauch, der bis etwa 2 m hoch werden kann. Die über 20 cm langen gestielten ungeteilten Blätter sitzen einzeln am holzigen Spross. Die Anordnung der Blüten stellt eine Besonderheit dar, denn diese sind stammblütig (Kauliflorie) an sehr kurzen generativen Seitensprossen angeordnet. Diese Seitensprossen wachsen nur langsam und bilden besonders in der lichtreichen Jahreszeit immer wieder neue Blüten aus. Die Blüten selbst sind durch rote Kelchblätter als eigentlichen Schauapparat sehr attraktiv. Goethea findet als blühende Topfpflanze in normal geheizten Zimmern Verwendung und kann bei guter Pflege und passenden Standortbedingungen lange ausdauern.

Goethea_strictiflora als Topfblume_grüneberg
Topfblume PD Dr. Heiner Grüneberg

Historie

Nees von Esenbeck beschrieb 1821 die Gattung Goethea erstmalig. Zusammen mit C.F.P. Martius würdigte er damit den großen deutschen Dichter, Naturforscher und Botaniker Johann Wolfgang von Goethe, was aus seinem Brief an Goethe vom 24.06.1820 hervorgeht.

Aktuell unterscheidet man 6 verschiedene Arten (https://www.tropicos.org/), 2023). Die in der Sammlung der HU vorhandene Art wurde 1852 von William Jackson Hooker im Botanical Magazin erstmals wissenschaftlich dargestellt. Das tatsächliche Pflanzenmaterial der Sammlung stammt von 6 Stecklingen ab, die am 20.08.1993 vom Botanischen Garten Leipzig für Forschungszwecke zur Verfügung gestellt wurden. Anschließend begannen am damaligen Fachgebiet Zierpflanzenbau der HU-Berlin erste Untersuchungen zur Eignung dieser Pflanzenart als Neuheit für das Zierpflanzensortiment.

Im Laufe der Zeit konnten mehrere Graduierungsarbeiten von Studierenden sowie Veröffentlichen zu ausgewählten Forschungsgegenständen verfasst werden. Auch auf Pflanzenmessen (z.B. die Internationale Pflanzenmesse in Essen) oder auf Ausstellungen in Frankfurt am Main und Bonn zu Goethe-Festtagen wurden Pflanzen aus der Sammlung mit entsprechenden Beschreibungen präsentiert.

Goethea Ernährungsversuche_grunewald 2018
Ernährungsversuche PD Dr. Heiner Grüneberg

Ausgewählte Forschungsschwerpunkte während der Zeit in der Sammlung

  • Untersuchungen zur vegetativen Vermehrung durch Stecklingsauswahl und deren Auswirkungen auf das nachfolgende Wachstum
  • Forschungen zur Blütenbildung und -entwicklung, Wachstumsrhythmen
  • Untersuchungen zur Verzweigbarkeit, generative Seitentriebe und Spitzenförderung
  • Suche nach Optimalwerten hinsichtlich Licht und Temperatur
  • Post Harvest bei Transport, Lagerung und Haltbarkeit/Wiedererblühen beim Endverbraucher
  • Untersuchungen zu Blattdeformationen
Goethea_Stammblüten_grüneberg
Topfblume PD Dr. Heiner Grüneberg

Pflanzenpflege beim Endverbraucher

Goethea ist eine typische Warmhauspflanze, die am besten in normal geheizten Wohnräumen am hellen Fenster aufgestellt werden soll. Die Pflanzen benötigen gerade in der lichtreichen Jahreszeit ausreichend Wasser und Nährstoffe, wobei im Sommer alle 14 Tage mit einem ausgeglichenem Mehrnährstoffdünger flüssig 0,2%ig gedüngt werden muss. Im Winter genügt die Düngung alle 3 Wochen. Staunässe ist allgemein zu vermeiden, da sonst Blattaufhellungen (Chlorosen) entstehen können. Die Vermehrung ist durch Stecklinge möglich. An Schädlingen können besonders im Winter bei Lufttrockenheit Spinnmilben auftreten. Größere Pflanzen vertragen einen Rückschnitt bis auf ein Drittel der ursprünglichen Größe. Untere Blätter können zum besseren Sichtbarwerden der Blüten entfernt werden.

Von PD Dr. Heiner Grüneberg

Tropische und subtropische Zierpflanzen: https://www.sammlungen.hu-berlin.de/sammlungen/tropische-und-subtropische-zierpflanzen/ 

Viktoria Tkaczyk: Thinking with Sound – A New Program in the Sciences and Humanities around 1900

Viktoria Tkaczyk ist Professorin für Medien und Wissen im Fachgebiet Medienwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin.

Thinking with Sound unternimmt eine Historisierung der auditiven Neurowissenschaften, ein interdisziplinäres Forschungsgebiet, das derzeit stark expandiert. Das Buch zeichnet nach, wie die Identifizierung des auditiven Cortex in der Neuroanatomie der 1860er Jahre sehr verschiedene Disziplinen zu neuen Theorien eines „Denkens in Klangbildern“ inspirierte.

Ferdinand de Saussure interpretierte das „akustische Bild“ als Schlüssel zur menschlichen Sprache, Sigmund Freud näherte sich der menschlichen Psyche über das auditive Unbewusste an, für Henri Bergson bewiesen imaginäre Klänge die Unabhängigkeit des Geistes von der physischen Wahrnehmung, Ernst Mach erklärte das vergleichende Hören zur zentralen Methode der Experimentalphysik, Carl Stumpf ging von kulturell geprägten Tonvorstellungen aus und nutzte diese für kulturvergleichende Studien.

In seinen verschiedenen Ausprägungen verband der Topos eines „Denkens in Klangbildern“ an der Wende zum 20. Jahrhundert eine akademische Landschaft, die sich in zunehmend spezialisierte Forschungsbereiche aufspaltete. Dabei übten geistes- und naturwissenschaftliche Fachgebiete einen buchstäblich disziplinierenden Einfluss auf die Sprech-, Hör- und Denkweisen ihrer Zeit aus – gestützt auf zahlreiche neue Medientechnologien, aber auch eng verbunden mit kolonial-, imperial- und nationalpolitischen Programmen.

Weitere Informationen zur Publikation.

Objekt des Monats: Eine indische Tablā (dāyāṃ) im Lautarchiv

Objekt des Monats 04/2023 

Das Lautarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin bewahrt neben seinen Kernbeständen an Audioaufnahmen von Kriegsgefangenen aus dem Ersten Weltkrieg und der Sammlung deutscher Dialekte aus den 1920er- und 1930er-Jahren noch weitere interessante Teilbestände, die bislang eher im Hintergrund standen und zunächst keinen offensichtlichen Zusammenhang zur Sammlung zu haben scheinen. Zum Beispiel drei indische Trommeln.

Zu diesen Instrumenten existiert keine historische schriftliche Dokumentation. Ein Inventarbucheintrag, aus dem hervorginge, wie, warum und woher sie in die Sammlung des Lautarchivs gelangt sind, liegt nicht vor. Instrumentenkundlich bilden die drei Trommeln kein zusammenhängendes Ensemble. Eine dieser Trommeln – eine indische Tablā (dāyāṃ) – soll hier einmal in den Fokus gestellt werden.

Tabla
Eine indische Tablā (dāyāṃ) im Lautarchiv.
Tabla Draufsicht
Tablā (Draufsicht, ⌀ 20cm); mit der charakteristischen schwarzen Stimmpaste (shāī) in der Mitte. Bei den weißen Flecken handelt es sich um Rückstände unsachgemäß angebrachter Aufkleber, die nicht mehr erhalten sind.

Zum Instrument

Tablā ist die Bezeichnung für ein mit den Händen gespieltes, aus zwei kleinen Kesseltrommeln bestehendes Trommelpaar. Die mit der rechten Hand gespielte, kleinere der beiden Trommeln heißt auch dāyāṃ (wörtlich: rechts), die in einigen Publikationen manchmal als die „eigentliche“ Tablā bezeichnet wird. Die mit der linken Hand gespielte, größere Trommel heißt bāyāṃ (wörtlich: links). Im Lautarchiv befindet sich nur eine dāyāṃ; das Trommelpaar ist unvollständig. Die Tablā ist mehr als ein bloßes „Objekt“; sie fordert Musiker*innen den Respekt ab, als Individuum behandelt zu werden: Instrument und Musiker*innen werden in gewissem Sinne Eins. Die Trommeln stehen auf dem Fußboden und werden im Schneidersitz gespielt. Es darf aber nicht einfach über eine auf dem Fußboden stehende Tablā hinweggeschritten werden; dies gilt als respektlos.

Zur Provenienz: tentativ-spekulative Denkrichtungen

Einige spekulative Denkrichtungen zur Provenienz seien hier aufgrund fehlender Dokumentation skizziert:

  • Nicht zurückgegebene Leihgabe?
    Zunächst einmal drängt sich der spekulative Gedanke auf, ob es sich möglicherweise um eine historische Leihgabe aus dem Musikinstrumenten-Museum SIMPK oder dem Ethnologischen Museum handeln könnte. Dies kann für das MIM aufgrund einer fehlenden Kat.-Nr. des MIM am Instrument ausgeschlossen werden. Ebenso für das Ethnologische Museum.
  • Gastgeschenk?
    Nach Auskunft von Dieter Mehnert, der in den 1990er-Jahren für die Sammlung zuständig war, hieß es seit 1960, die Trommeln seien aus Indien „mitgebracht“ worden. Nähere Umständen seien nicht bekannt gewesen. Ob es sich also um ein im Lautarchiv abgelegtes Gastgeschenk an die Universität handelt, muss offenbleiben.
  • Alter des Instruments?
    Auch wenn das Instrument vermutlich vor 1960 in das Lautarchiv gekommen ist, lässt dies keinen Schluss auf das Alter des Instruments zu. Es könnte wesentlich älter sein. Belastbar wäre das Alter nur durch eine dendrochronologische Untersuchung festzustellen (eine Datierung über eine Baumringuntersuchung der verwendeten Hölzer), nicht durch bloßen Augenschein.

Im ideellen Kontext der Sammlung

Zwar lässt sich kein direkter Zusammenhang der Tablā mit den übrigen Beständen des Lautarchivs rekonstruieren, doch steht die Tablā im Lautarchiv keineswegs in einem kulturell isoliertem Raum. Es bestehen interessante Querbezüge innerhalb der Sammlung, die der Tatsache, dass sich im Lautarchiv eine Tablā befindet, einen ideellen Kontext verleihen. Man denke daran, dass der Nobelpreisträger Rabīndranāth Ṭhākur (রবীন্দ্রনাথ ঠাকুর,1861–1941) im Juni 1921 an der Friedrich-Wilhelms-Universität eine Rede gehalten und ein Lied gesungen hat. Diese Aufnahme befindet sich heute im Lautarchiv (Signatur AUT 48). Ob es sich gar um ein Geschenk von Rabīndranāth Ṭhākur handeln könnte, kann auf der Grundlage des heutigen Wissenstandes noch nicht ermittelt werden. – Ein am 28. September 1926 von Rājamāṇikkam (*um 1902) in der Sprache Tamiḻ (தமிழ்) eingesungenes, mit Tablā begleitetes Lied (Signatur LA 733), gehört leider zu den Verlusten des Lautarchivs.

Symbolkraft einer Tablā im Lautarchiv

Nicht zuletzt steht die Tablā auch symbolisch „inmitten“ der Kriegsgefangenenaufnahmen von indischen Kolonialsoldaten, die das Vereinigte Königreich gegen Deutschland in den Ersten Weltkrieg geschickt hatte. Einer der bekanntesten zyklisch wiederholten rhythmischen Strukturen der nordindischen klassischen Musik ist der sogenannte Tintal (तीन ताल). Seine rhythmisch ausgewogene Gliederung in 16 Trommelsilben (bol), die wiederum in 4×4 Silben unterteilt sind, galt niemand Geringerem als Ravi Shankar (1920–2012) als Symbolkraft für den Frieden. Es sei jedem/jeder selbst überlassen, ob auch die Existenz einer Tablā in der Sammlung des Lautarchivs, „inmitten“ der Audioaufnahmen von Kriegsgefangenen des Ersten Weltkrieges, eine solche Symbolkraft des Friedens annehmen und entfalten kann.

Text und Fotos: Christopher Li, Sammlungsleitung Lautarchiv

Temporäres Denkmal für die Märzgefallenen

Zum Auftakt der Feierlichkeiten des Wochenendes der Demokratie wurde am 16.3.2023 das temporäre Denkmal für die Gefallenen der Märzrevolution 1848 am historischen Ort eröffnet, dem Schlossplatz vor dem Humboldt Forum.

Basierend auf einer Konzeptidee von Prof. Dr. Daniel Tyradellis vom Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik wurde die anamorphotische Spiegelsäule gemeinsam mit dem Verein „Friedhof der Märzgefallenen“, Studierenden der HU, Schüler:innen der Anna-Essinger-Gemeinschaftsschule und dem Künstler:innenkollektiv SELFMADECREW realisiert. Das Denkmal beleuchtet gleichermaßen die Rolle von Denkmälern im öffentlichen Raum wie die systematische Frage des Zusammenhangs von Freiheit und Gewalt.

Entstanden am Lehrstuhl der Stiftungsprofessur Humboldt Forum für die Theorie und Praxis des interdisziplinären Kuratierens, gefördert von der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien.

Foto: Paul Singer